Jazzline N 77059 (CD) / N 78059 (LP)
ALSO AVAILABLE IN VINYL 180g DIRECT METAL MASTERING
Soul Fingers
Beschreibung
In seinem passend mit Soul Fingers betitelten 12. Album als Leader, verbindet der altgediente Jazzgitarrist Bobby Broom seine Liebe zur Popmusik - mit der er in den 60er und 70er Jahren aufgewachsen ist - mit seiner Erfahrung als Jazzmusiker. Es ist ein Konzept, dass er 2001 mit Stand! perfektioniert hat; einem Album auf dem er Songs der Beatles, der Turtles, der Mamas and the Papas, von Johnny Nash, Stevie Wonder und Sly & The Family Stone durch die Hard Bop Linse gesehen interpretiert. Diesmal bietet er auf diesem swingenden Album - zusammen mit seiner Organi-Sation, seinem Langzeit-Drummer Kobie Watkins und dem aus Philadelphia stammenden und in Brooklyn lebenden B-3 Ace Ben Paterson - einen ganz persönlichen Blick auf einige ikonische Popmelodien aus derselben goldenen Ära. Gemeinsam shuffeln und swingen sie sich durch Pop-Klassiker wie "Come Together" von den Beatles, "Ode to Billie Joe" von Bobbie Gentry, "Do It Again" von Steely, "Summer Breeze" von den Seals & Crofts und anderen mehr. Broom, der in einer langen Reihe großer Jazzgitarristen steht, die von Kenny Burrell und Wes Montgomery bis Grant Green, George Benson und Pat Martino reicht, gibt bei der Interpretation dieser bekannten Songs alles.
Soul Fingers ist aber auch ein Wiedersehen für Broom und den Drummer und Produzenten Steve Jordan, die seinerzeit gleich zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten gemeinsam in der Band von Sonny Rollins gespielt haben. "Steve und ich besuchten beide die High School of Music and Art in Manhattan, obwohl er einige Jahre vor mir den Abschluss gemacht hat", erinnert er sich. "Später habe ich ihn dann in den frühen 80er Jahren getroffen, als wir gemeinsam mit Sonny Rollins gespielt haben; obwohl wir damals, wen ich mich richtig erinnere, nur einen einzigen Auftritt gemeinsam gemacht haben. Später, im Jahr 2005, als Sonny mich wieder zu sich rief, war auch Steve in der Band. Damals haben wir uns richtig kennengelernt und festgestellt, dass wir musikalisch in dieselbe Richtung tendierten."
Zehn Jahre nach ihrer gemeinsamen Zeit in Rollins Band fand sich Broom im Sommer von 2015 in einem privaten Projekt versunken. "Ich hatte in diesem Sommer keine großen Pläne und so habe ich eben am Computer das Programm Logic aufgemacht, von dem mir die Leute schon seit Jahren erzählt haben. Dann habe ich einfach begonnen, Songs neu zu arrangieren; ich bin voll in diese Arbeit eingetaucht und hatte großen Spaß dabei. An einem bestimmten Punkt, ich hatte mir gerade einige der Songs anhörte, dachte ich mit: "Was mache ich hier eigentlich? Kann es sein, dass ich an meinem neuen Album arbeite?"
Als er sich diese Frage mit 'ja' beantwortete, entschloss Broom sich dazu, einen Produzenten um Hilfe bei der Organisation der Session zu bitten. "Der ganze Prozess unterschied sich völlig von dem, was ich von meinen früheren Aufnahmen gewohnt war", sagt er über Soul Fingers. "Normalerweise stelle ich eine Gruppe zusammen und habe eine Idee zu einem Thema. Der Rest ergibt sich dann aus der Gruppendynamik während wir das Ding umsetzen. Bei diesem Album aber war ich viel stärker direkt involviert. Nach einer Weile bin ich zu dem Punkt gelangt, wo zu mir gesagt habe: 'Ich brauche jemanden, der mir bei diesem Projekt hilft'. Ich dachte dabei gleich an Steve, vor allem weil mir für diese Musik ein von Soul inspirierter Zugang vorschwebte. Ich dachte, dass er die perfekte Bereicherung für das Team wäre, obwohl es zu dem Zeitpunkt eher so etwas wie ein unerfüllbarer Tagtraum war. Damit meine ich, dass Steve Jordan der Produzent von Musikern wie John Mayer, Keith Richards, Robert Cray und Sheryl Crow ist. Leute wie er haben keine Zeit für kleine Jazzgitarristen."
Schließlich war es Brooms Frau Maureen, die den Gitarristen doch noch dazu überredete, mit Jordan Kontakt aufzunehmen. "Ich habe ihm also eine E-Mail geschrieben und in weniger als einer Stunde hatte ich seine Antwort, 'Lass uns loslegen!'"
Als Kerngruppe für Soul Fingers konnte Broom auf seine Organi-Sation setzen, mit der er 2014 für drei Monate als Vorgruppe von Steely Dan auf Tour war. "Auf dieser Tournee haben wir uns wirklich gut kennengelernt und es gab keinerlei Probleme als wir dann mit den Aufnahmen begannen", erinnert er sich.
Den Einstieg bietet eine swingende Version von "Come Together" von den Beatles, in der Broom fest in der klassischen Green-Benson-Martino Organ Group Spielweise verwurzelt bleibt. Bobby bleibt zu Beginn der Melodie treu, gegen Ende kommt es dann aber zu umfangreichen Erweiterungen und maschinengewehrartig vorgetragenen Improvisationen. Die "Ode to Billie Joe" ist hier in den 7/4 Tackt umgeformt und bringt ausdrucksstarke Hornelemente, vorgetragen vom Saxophonisten Ron Blake und dem Trompeter Chris Rogers und zusätzlich dazu ein Vibraphon Solo von Justin Thomas. Einmal mehr eröffnet Broom dieses bekannte Stück und meldet sich gegen dessen Ende ausdrucksstark zurück.
Als nächstes nehmen sie sich "Do It Again" (vom Album Can’t Buy a Thrill aus 1972) von Steely Dan vor, wozu Paterson ein geradezu unglaubliches B-3 Solo beisteuert. Für die verführerische, von Bossa Nova beeinflusste Interpretation des Beatles-Songs "While My Guitar Gently Weeps", holt sich Broom Unterstützung von den brasilianischen Gitarristen Sergio Pires und Luciano Antonio, die mit ihrem arpeggierten Klang einen bezaubernden Hintergrund schaffen. "Früher habe ich hier in Chicago zusammen mit Sergio lange Brunch-Gigs gespielt", erklärt er. "Er spielte die Akustikgitarre und sang dazu und ich begleitete ihn und spielte Soli. Er ist so unglaublich authentisch und hat ein großartiges Gespür für die Musik. Es war auch Sergio der angeregt hat, dass wir Luciano einladen sollten, an diesem Album mitzuarbeiten. Wir haben also schließlich ihre beiden Gitarrenstimmen gemeinsam verwendet, das war irgendwie krass."
Im sanften Song "Summer Breeze", der Titelnummer des 1972er Albums der Seals & Crofts, beschwört Watkins einen schwelenden, synkopierenden Takt herauf. Broom nimmt sich die nötige Zeit um die Story elegant zu erzählen, bevor er die zweite Hälfte des Stücks mit geradezu Benson'scher Leichtigkeit loslässt. Die gospelgefärbte Performance des Leaders in "Eyes of Faith" wird durch opulente Streicherarrangements des aufstrebenden Stars aus Chicago, Matt Jones, noch bereichert. "Eine vollständige Streicherbesetzung zu haben war lange einer meiner Träume und er hat sich erfüllt", sagt Broom.
Jordan ist es auch, der in "Get Ready" - dem 1966er Hit der Temptations, geschrieben von Smokey Robinson - für die nötige lebhafte Afro-Pop Stimmung sorgt. Jordans schnittiger Backbeat legt das Tempo vor und eine Horn-Besetzung sorgt für den richtigen Motown-Punch; Broom segelt mit der für ihn typischen Finesse am Griffbrett darüber, während Schlagzeuger Sammy Figueroa den Song mit einem feurigen Conga-Solo entzündet.
Brooms wohlüberlegte und originalgetreue Version der barocken Popnummer "White Shade of Pale" von Procol aus 1967 ist chillig, intim und voller Soul. Watkins greift bei diesem Song zu Brushes während Paterson einen sanften Teppich aus - an Kirchenmusik erinnernden - Orgeltönen auslegt, bevor er sein B-3 Solo abliefert. Die Interpretation des Trios von "I Can’t Help It", dem Michael Jackson Song aus dem 1979er Album Off the Wall (geschrieben von Stevie Wonder), wird von Watkins‘ geschmeidigem Swing-Funk Takt getragen und durch die feurigen Soloeinlagen, sowohl von Broom als auch von Paterson, bereichert.
Die Sammlung schließt mit einer geradezu sanften Interpretation von David Gates‘ Song "Guitar Man", dem Titelstück des 1972 Bread Albums. Noch einmal bringt Jones mit seinem Arrangement diese 70er Jahre Hymne zum Glänzen, während Broom mit schnellfingriger Hingabe das seine hinzufügt.
Was Broom in Soul Fingers macht – Popnummern der 60er und 70er auf seine Weise zu interpretieren – ist nichts anderes, als was schon Miles Davis und Charlie Parker zu ihrer Zeit mit Broadway-Show Melodien gemacht haben. "Das ist was jeder gemacht hat. So ist Jazz entstanden, durch die Interpretation und Neuinterpretation von populären Liedern, seien sie nun von Tin Pan Alley oder noch früher, Volkslieder aus Varietee und Minstrelsy", stellt er fest.
In diesem Sinne ist Brooms Auseinandersetzung mit "Ode to Billie Joe" und "Do It Again" fest in der Tradition von Miles "Surrey With the Fringe on Top" oder Birds "Just Friends" und "I Didn't Know What Time It Was" verwurzelt. Auf Soul Fingers singt er die bekannten Melodien auf seiner Gitarre und überzeugt mit viel Autorität in seinen Soli. "Es ist natürlich eine Jazz-Aufnahme, aber es sind hier auch noch ganz andere Dinge am laufen", sagt Bobby. "Die Songs swingen absolut, aber in einem bob your head, backbeat funk kind of way. Genauso erlebe ich das. Und genauso gefällt es mir auch."
Bill Milkowski
Bill Milkowski schreibt regelmäßig für die Magazine Down Beat und Jazzthing. Er ist auch der Autor von "JACO: The Extraordinary and Tragic Life of Jaco Pastorius" und Co-Autor von "Here And Now: The Autobiography of Pat Martino", beide Bücher sind bei Backbeat Books erschienen.