ACK VAN ROOYEN - 90
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Beschreibung
Spiel‘ mir einen Ton- und ich sage dir, wer du bist. Es ist häufig der individuelle, der own sound eines Instrumentalisten, der ihn „verrät“ – und das nicht nur bei Blindfold-Tests, bei denen Musikern Aufnahmen vorgespielt werden und sie nach dem Motto „Horch, wer spielt denn da?“ Titel und Interpreten erkennen sollen. Ack von Rooyen macht es auch dem normalen Jazz-Hörer einfach. Sein Sound ist so unverwechselbar, dass es nur weniger Sekunden, weniger Töne bedarf, um ihn zu identifizieren.
Ein Klang voller Wärme und einem Hauch Melancholie – etwas, das im Übrigen auch den Menschen Ack van Rooyen auszeichnet. „Vielleicht hat das miteinander zu tun. Du hast einen Ton, so wie du eine Stimme hast. Beim Spielen ist es wie beim Singen: Man hat eine Stimme oder man hat sie nicht. Man kann sie verbessern, aber nicht wirklich ändern.“
Wenn es nicht schon ein Flügelhorn gäbe, es hätte für Ack erfunden werden müssen. Das pflegte Jerry über seinen jüngeren Bruder zu sagen. Wo bei anderen Trompetern und Flügelhornisten in reiferen Jahren der Ton brüchig zu werden beginnt, kultiviert er ihn mit aller Fülle auch noch mit neunzig. Nichts könnte dies eindrucksvoller dokumentieren als sein neues Album, 90.
Am 1 Januar 2020 feierte Ack van Rooyen seinen runden Geburtstag. Und wenige Tage später tat er dies so, wie Jazzmusiker es tun pflegen: mit einem Konzert, mit Musikern und Freunden, mit Musiker-Freunden. Beim Abend im Amsterdamer Bimhuis war ein Tenorsaxofonist dabei, der auch Acks achtzigsten Geburtstag mitfeierte und mit ihm die CD Celebration einspielte.
Paul Heller und Ack van Rooyen pflegen ihre musikalische und private Freundschaft seit nunmehr dreieinhalb Dekaden. Sie lernen sich 1985 bei einem Jazz-Workshop kennen und der Ältere wird schnell zu einem der wichtigsten Mentoren des Jüngeren. Und sie teilen so Einiges. Beide haben seit jeher enge Kontakte zur Szene des jeweiligen Nachbarlandes, die Arbeit mit Big Bands bestimmt einen Großteil ihrer Laufbahnen und Beide sind Teil einer jazzmusikalischen Bruderschaft: Der verstorbene Trompeter und Arrangeur Jerry van Rooyen war 1985 bis 95 Chefdirigent jener Formation, der Heller zehn Jahre nach Jerrys Ausscheiden beitreten wird, der WDR Big Band.
90 präsentiert ein bi-nationales Sextett - mit jeweils drei Musikern aus beiden Ländern. Der Gitarrist Peter Tiehuis spielte u.a. in zwei Big Bands, die auch mit Acks beruflichem Leben eng verbunden sind, mit Peter Herbolzheimers Rhythm Combination & Brass und den Skymasters. Pianist Hubert Nuss hat bereits an zwei gemeinsamen Aufnahmen der Bläser teilgenommen (Celebration, Live & In Studio), Gleiches gilt für Pauls Bruder Ingmar (Paul Heller, Kaleidoscope), als Bassist festes Mitglied der NDR Bigband. Und Schlagzeuger Hans Dekker, Pauls niederländischer Kollege aus der WDR Big Band, gehörte auch zu den Geburtstagsgästen von Celebration.
Das Repertoire auf 90 wurde von van Rooyen und (dem hier auch als Arrangeur und Künstlerischer Produzent agierenden) Heller zusammengestellt – Stücke, die sie in den vergangenen Jahren auch immer wieder live gespielt haben. „Canter No.2“ stammt aus der Feder des kanadischen Trompeters und Flügelhornisten Kenny Wheeler und ist in dieser Version Acks Tribut an seinen verstorbenen Freund und einstigen Band-Kollegen im United Jazz + Rock Ensemble. Mit einer ganz anderen (und fast karnevalistischen) Stimmung entführt uns „D’r Lange Jan“ in Acks Heimatland: ein altes Lied über den Langen Jan, einen 135 Meter hohen Schornstein einer Zeche, einst Wahrzeichen der ehemaligen Bergbau-Stadt Heerlen - mit karibischem Flair arrangiert vom niederländischen Trompeter und Flügelhornisten Marc Huynen, mit dem Ack des Öfteren gespielt hat. Michel Legrand, der mit Jerry van Rooyen befreundet war und mit ihm mehrfach zusammenarbeitete, schrieb „Papa, Can You Hear Me?“ für den Film Yentl, mit Barbra Streisand in der Titelrolle und als Interpretin. „Brush It Up“ ist einer der beiden kompositorischen Beiträge Paul Hellers – mit einem Hans Dekker, der - nomen est omen – brushes, Besen spielt. Edu Lobos „Pra Dizer Adeus“ war eines der Stücke der Rhythm Combination & Brass, in dem Ack regelmäßig gefeaturet wurde. Die Bläser-Intro des Original-Arrangements wird von Paul auf der Klarinette und Bassklarinette gespielt (Herbolzheimer arrangierte den Titel übrigens auch für die Manfred-Krug-Platte Da bist Du ja von 1979 – mit dabei: Ack van Rooyen). Das nostalgische „The Things We Did Last Summer“ hat einen speziellen Platz in Acks Bio- und Diskografie: Der Standard wurde seine allererste Plattenaufnahme, als er 1953 mit dem Boyd Bachmann Orkest durch Skandinavien tourte und den Titel in Kopenhagen einspielte. „En Yndig Og Frydefuld Sommertid“ ist Acks Tribut an den Ausnahme-Bassisten Niels-Henning Ørsted Pedersen, mit dem er häufig gespielt hat, und der in seinen eigenen Gruppen gern dänische Volkslieder interpretierte. Den mit viel positiver und groovender Energie daherkommenden „The Hague Shuffle“ widmet Paul seinem Freund Ack, der in The Hague (Den Haag) geboren wurde und dort heute noch lebt. Jim Halls „All Of A Sudden My Heart Sings“ lässt das Herz hüpfen – und die Musiker die Bb-Dur-Tonleiter hinauf (Ack) und hinunter (Paul)…
Das Repertoire von 90 weckt Reminiszenzen an einige Stationen in der Laufbahn van Rooyens.
1946 hört Ack das erste Mal Bebop, als er mit seinem Bruder Jerry für amerikanische Soldaten in Indonesien spielt und die ihnen ihre neuesten „v-discs“ präsentieren, Platten, die den GIs aus der Heimat zur moralischen Unterstützung geschickt worden waren. 1947 reisen Ack und Jerry nach New York und erleben J.J. Johnson, Stan Getz, Fats Navarro und Erroll Garner bei ihren Auftritten im Club Three Deuces. Zurück in den Niederlanden, gründen sie mit dem Pianisten Rob Pronk die Gruppe Rob‘s Boptet und spielen - Bebop.
Alsbald ergibt sich die Möglichkeit, nach Paris zu gehen – auf Einladung des Sängers und Trompeters Aimé Barelli, dem es 1948 gelungen war, die Gillespie Big Band in die französische Hauptstadt zu holen.. In dessen Orchester wird Ack drei Jahre verbringen, von 1957 bis 60. „Eine Super-Zeit, romantisch! Es war himmlisch, dort zu wohnen! Zwar wenig Geld, aber mit Bud Powell und Kenny Clarke auf derselben Etage und mit all den Amerikanern in den Clubs. Wir haben in der Winter-Saison in Paris gespielt und im Sommer in Monte Carlo. Eine schöne Zeit.“
An einem Sommer-Abend 1960 in Monte Carlo, als Ack van Rooyen wieder einmal mit dem Orchester Aimé Barellis auftritt, taucht ein Mann aus Berlin auf und bietet ihm eine Festanstellung in einem zur Gründung anstehenden Klangkörper des SFB an, des Senders Freies Berlin. Der Trompeter sagt zu und zieht nach Berlin, sechs Jahre lang wird er dort wohnen und arbeiten. Mitte der 60er folgt auch Bruder Jerry dem Ruf an die Spree. „Das waren die golden days of radio!“
1967 verlässt der Trompeter Berlin und findet in Stuttgart eine neue Wahlheimat – für insgesamt elf Jahre. Ein attraktives Job-Angebot, denn neben der täglichen Arbeit im Tanzorchester des SDR bekommt er die Möglichkeit, auch andere Projekte wahrzunehmen. „Das war eigentlich der Grund, warum ich nach Stuttgart gezogen bin.“ Und van Rooyen nutzt den Freiraum, spielt u.a. mit der Radio Jazz Group Stuttgart um Wolfgang Dauner und wird Gründungsmitglied des von Dauner initiierten United Jazz + Rock Ensemble. Die Platten der Band werden auf dem Musiker-eigenen Label Mood Records veröffentlicht – damit waren Ack van Rooyen und Co. hierzulande Vorreiter einer Praxis, die heute gang und gäbe ist: Künstler bringen ihre Aufnahmen selber heraus, um die Kontrolle über den Produktions- und Verwertungsprozess zu behalten.
Eine weitere Jazz- und Jazzrock-(Groß-)Formation, die zu Acks wachsendem Bekanntheitsgrad beiträgt, ist Peter Herbolzheimers Rhythm Combination & Brass. Die Musiker sind ihm nur zu vertraut, mit einigen von ihnen (u.a. Herbolzheimer und Jiggs Whigham) hatte er bereits im Orchester von Bert Kaempfert zusammengespielt.
1980 kehrt der Trompeter in die Niederlande zurück. Er präsentiert sich mit eigenen Gruppen, im Quintett mit dem ebenfalls von Herbolzheimer engagierten Saxofonisten Ferdinand Povel, im Duo mit dem Pianisten Jörg Reiter und immer wieder mit Großformationen – darunter die Big Band Skymasters oder das Metropole Orkest.
Die engen Kontakte des Trompeters zur deutschen Szene sind nie abgebrochen. Vor allem mit Paul Heller pflegt er seit den späten 90er Jahren eine kontinuierliche Zusammenarbeit. Das jüngste Ergebnis dieser Kooperation ist 90. Zeitloser Straight-Ahead-Jazz at its very best.
„Ich habe von all den Leuten, mit denen ich gespielt habe und spiele, so viel gelernt. Nicht nur über Musik, auch über das Leben. Ein schöner Lehrgang. Ich habe Glück gehabt.“
Karsten Mützelfeldt