Jazzline N 77053 (CD) / N78053 (LP)
Exhibition Continues
Beschreibung
Der Drummer Poogie Bell, bekannt als langjähriger Groovemeister von Bassgröße Marcus Miller und verlässlicher Sideman von Künstlern wie Stanley Clarke, David Sandborn, Chaka Khan, Erykah Badu, Angelique Kidjo oder Al Jarreau, zeigt auf Exhibition Continues eine völlig andere Seite seiner musikalischen Welt. Die eklektische Sammlung führt den in Pittsburgh geborenen Bell in anspruchsvolles Terrain, das deutlich über das klassische Pocket Playing hinausgeht. Auf seinem nunmehr bereits sechsten Outing als Leader verbindet er viele Elemente – Streicher, Soulstimmen, tiefgründige Liedtexte und Einflüsse aus Gospel, Jazz, Afro-Cuban und Fusion. „Ich wollte einfach einmal ein Album machen, auf dem ich nicht ständig den Funk Beat spiele”, meint Bell.
Bell formt mit den ebenfalls in Pittsburgh beheimateten Bassisten Tony DePaolis und dem Keyboarder Brett Williams das Trio im Zentrum von Exhibition Continues. Als Gäste bittet er für dieses Album die in Philadelphia geborene Saxophonistin und Sängerin BeLove Sanaa, den aus Chicago stammenden Gitarristen Bobby Broom, den Multiinstrumentalisten Vince Henry aus Harlem und seinen eigenen Sohn - Winston Bell - am Saxophon dazu. Neben sieben kraftvollen eigenen Stücken liefern Bell und seine Crew klangetreu interpretierte Coverversionen von Sam Cookes „A Change Is Gonna Come,” Joni Mitchells „Coyote” und D’Angelos „Lady.”
Als erstes steht „When I Think Of You” auf dem Programm, ein Stück, das Bell für seine Frau Mijoa geschrieben hat. Bassist DePaolis kümmert sich dabei um die Lush Strings und Stephenson singt Bells Text, der von der unzerstörbarer Liebe einer Mutter zu ihrem Kind handelt. „Ich habe eigentlich ein Lied über einen Tag in meinem gemeinsamen Leben mit meiner Frau geschrieben”, sagt Bell. „Es begann bei einer Jam-Session. Wir waren im Studio und Brett, der stark von Robert Glasper beeinflusst ist, begann dieses Riff zu spielen. Tony und ich sind dann einfach eingestiegen. Wir haben rasch eine A-Sektion gefunden, aber uns fehlte noch eine Brücke. Also habe ich Brett gebeten, einige Cluster im Stil von Bill Evans zu spielen und Tony sollte ihm folgen. Daraus entwickelten wir die Brücke. Anschließend schrieb Tony einige Streichersequenzen im Stil von Clare Fischer. Eigentlich waren diese als Intro gedacht, aber wir haben beschlossen, sie im ganzen Stück einzusetzen. Dann kam noch Mike dazu, half mir den Text weiterzuentwickeln und sang ihn dann noch so einfühlend, dass es ein Vogel nicht besser machen hätte können!” Williams, ein großes Talent, das sich sicher mehr allgemeine Anerkennung verdient hat, steuert ein brillantes Klaviersolo zu dieser erhebenden Ode bei.
„Graduation Day,” in dem Williams am Piano einige hippe, an Joe Samples klassische Stücke mit The Crusaders erinnernde Fender Rhodes Comping-Arbeit leistet, wurde am Tag nachdem der junge Keyboarder an der Duquesne Universität seinen Abschluss gemacht hatte aufgenommen. Bell, der das Stück als „einen, ein wenig pop-artigen, an Walter Report erinnernden Latin Song, der zwischen 7 und 4 hin und herspringt” beschreibt, spielt den ganzen mitreißenden Song hindurch leidenschaftlich und klingt dabei ein bisschen wie der ebenfalls aus Pittsburgh stammende Jeff „Train” Watts. „Er wohnte gleich bei mir ums Eck und wir haben oft gemeinsam Schlagzeug gespielt”, erinnert er sich. „Wir spielten meistens bei meiner Großmutter im Keller. Solange bis es ihr zu viel des Guten wurde und sie uns mit den Worten ‘OK, es reicht. Genug Schlagzeug gespielt. Geht in den Park und werft ein paar Basebälle!’ hinausschickte. Jeff ist ein wirklich guter Freund und hat einen besonderen Platz in meinem Herzen.”
Sanaa, die zwar aus Denver stammt, aber zurzeit in der Musikszene von Pittsburgh kräftig mitmischt, trumpft in „Unforgettable Tale” auf. „Sie ist eine herzliche Person mit sehr viel Talent, der man mehr Beachtung schenken sollte”, meint Bell. „Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich sie das erste Mal habe spielen gehört. Damals schon dachte ich mir, dass ich unbedingt mit ihr zusammenarbeiten will. Ich habe sehr viel Respekt für ihre Arbeit und hoffe, dass wir einmal genug Zeit und Ressourcen haben werden, um ein ganzes Album gemeinsam zu Machen. Sie ist ein besonderer Mensch.”
„Untold Story” ist eine Instrumentalkomposition von DePaolis, die auf einem Orgelpunkt basiert, indem Bass und Piano die Melodie verdoppeln. Das Stück sieht auch eine bedeutende Rolle für die Streichersektion vor. Williams und DePaolis tragen dazu beide ganz außerordentliche Soli bei.
In der Interpretation des hymnenartigen „A Change Is Gonna Come” erleben wir den vielschichtigen Henry an Gitarre, Harmonika, Holzblasinstrumenten und dem Baritonsaxophon. Kenny Peagler steuert noch die Kirchenorgel bei und verleiht diesem R&B Standardwerk einiges an Tiefgang. Und Stephenson liefert zu diesem, von Sam Cooke 1964 am Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung geschriebenen Stück, herzergreifende Vocals dazu. „Ich habe diesen Song auf Konzerten auch schon öfter als reine Instrumentalversion gespielt”, erklärt Bell. „Zum Beispiel bei einem Outdoor Jazzfestival hier in Pittsburgh und die Reaktion des Publikums war schon nach den ersten drei Noten enorm! Wir bekamen dieselbe Reaktion als wir das Stück in Europa gespielt haben – Standing Ovations nach den ersten 8 Takten. Die aktuelle Version ist eine Hommage an Sam Cooke. Die Botschaft ist auch heute noch relevant, vergleichbar etwa mit Marvin Gayes ‚What’s Going’ on?’”
Williams, der Sohn eines Pastors aus Wilkinsburg hat in seiner Kindheit viel in der dortigen Kirche musiziert und trägt das bezaubernde Stück „Fall” zum Album bei, indem wir den begabten 24-Jährigen ekstatischer spielend erleben können. Bells sehr kolorierter Zugang zu den kit-and-deft Polyrhythmen bringen diesen Edelstein zum Glänzen und sein 13-jähriger Sohn Winston liefert während des gesamten Stücks einige melodische Beiträge auf dem Altsaxophon ab.
Bells langjähriger Freund, der Gitarrist Bobby Broom kommt im scherzhaft „Black Metheny” benannten Stück als Gast zum Einsatz. Der Drummer war schon bei Brooms erstem Album als Leader, dem 1981 veröffentlichten Clean Sweep dabei, aber ihre Freundschaft begann sogar noch früher. Dazu Poogie: „Ich wurde in Pittsburgh geboren, wuchs aber in New York auf, an der Upper Westside in Manhattan, praktisch ums Eck von Bobby Broom. Ich war in der 93. Straße zuhause, er wohnte in der 94. Straße. Wir haben uns in der vierten Klasse der P.S. 84 kennengelernt. Schließlich haben Bobby und ich gemeinsam in Weldon Irvins Stück ‚Young, Gifted and Broke’ mitgewirkt, als wir etwa 14 Jahre alt waren.”
Bell erklärt weiter, dass „Black Metheny” auf einem Motiv aus dem mitreißenden Titelsong der Fernsehserie „The Office” basiert. „Brett habe ich erklärt, dass das Stück im Stil von Bruce Hornsby geschrieben ist und das reichte ihm als erste Anleitung. Er hat aber dann noch einige Gospelelemente in die Brücke eingebaut, die mich an Keith Jarrett erinnern. Ich bin ein großer Fan des Jarrett-Metheny ECM Sounds und ich bin auch ein Fan von ‚The Office’. Ursprünglich habe ich den Song sogar ‚The Office’ genannt, habe den Namen dann aber in ‚Black Metheny’ abgeändert. Ich denke, dass Pat Große Freude an dem Stück haben wird.”
Stephenson meldet sich anschließend mit einer gefühlvollen Interpretation von D’Angelos „Lady” zurück, in der er sein rauchiges Tenorsaxophon mit seiner glühenden Stimme verbindet. Das Pianosolo von Williams am Crescendo ist ein weiterer Höhepunkt dieser lohnenswerten Interpretation. BeLove ist als nächste an der Reihe, mit einer Interpretation von Joni Mitchells Klassiker „Coyote” aus ihrem 1976er Album Hejira, für das die Singer-Songwriterin mit den Jazzschwergewichten Wayne Shorter und Jaco Pastorius zusammengearbeitet hat. „Keiner wollte, dass ich sie diesen speziellen Song singen lasse”, erinnert sich Bell. „Es gab viele Zweifler. Ich verstehe zwar wie außergewöhnlich Joni Mitchell ist, aber wer sagt, dass BeLove das Stück genauso anlegen muss wie Joni damals? Warum soll sie nicht ihren eigenen Charakter und ihren eigenen Stil einbringen können? Und sie hat es wirklich hervorragend gemacht!” DePaolis bereichert diese Neuinterpretation des ikonischen Mitchell Songs mit einem außerordentlichen Bass-Solo und die von ihm verantworteten Streicherarrangements.
Exhibition Continues schließt sehr dynamisch mit dem energiegeladenen Instrumentalstück „Electric Glasses”, das an Stevie Wonders kraftvolle Fusion-Nummer „Contusion” aus dem klassischen 1976er Album Songs in the Key of Life denken lässt. Nach einer längeren Ouvertüre trägt der etwas verzerrte elektronische Bass von DePaolis dieses kraftvolle Stück, in dem auch Bells Sohn Winston mit seinem Tenorsaxophon wieder zum Einsatz kommt. Sein Vater sorgt für die polyrhythmischen Impulse in dieser heiteren Jam-Session. Dann kommt noch Miguel Sague in der Breakdown-Sektion dazu, während Williams auf einer Fender Rhodes bei einem Solo die Funken sprühen lässt; und dies sind nur einige Elemente dieser bunten, vom gefeierten Drummer-Bandleader zusammengestellten Sammlung.
„Ich habe den Großteil meiner Kariere damit zugebracht, das zu spielen, was die jeweilige Musik von mir verlangt hat”, sagt der 57-jährige Bell. Ich war immer schon mehr daran interessiert, einfach Musik zu machen und damit dazu beizutragen, dass sich Publikum und Band gut fühlen und die Musik genauso klingt wie sie sollte. Das ist mir auch wichtig. Aber ich versuche auch nicht spurlos vorüberzugehen, sondern Teil der Drummer-Gruppe vom Schlag eines Harvey Mason, Alphonse Mouzon, Billy Cobham oder Tony Williams zu sein, die allesamt Musik gemacht haben, in der es nicht nur um Schlagzeugsoli gegangen ist, die schnell langweilig werden können.”
Diesem Anspruch wird Bell in Exhibition Continues voll und ganz gerecht, indem er auf bewährt kühne Weise durch sein breit gefächertes Repertoire führt.
— Bill Milkowski