w/WDR BIG BAND COLOGNE
Jazzline N 77013 (CD)
On The Way To The Sky
Beschreibung
Sag mir, wie du heißt, und ich sag dir, wie und was du spielst.
Namen von Musikern können wie ein ästhetisches Programm sein. Ad hoc ordnen wir ihnen Klänge oder Stile zu. Dass wir beim Namen Bob Brookmeyer nicht gleich an avancierte, „neutönerische“ Musik denken, ist – obwohl er uns einiges davon hinterlassen hat - so verwunderlich nicht. Schnell assoziieren wir ihn mit Künstlern wie Chet Baker, Stan Getz oder Gerry Mulligan, Namen, mit denen wir Cooles verbinden, weniger Experimentelles. Doch schon als Arrangeur von Mulligans Concert Jazz Band lieferte Brookmeyer Unkonventionelles, erst recht als Komponist und Arrangeur des Thad Jones/Mel Lewis Orchestra, ganz zu schweigen von seiner Mitgliedschaft im Jimmy Giuffre Trio. Dort traf er auf den Gitarristen Jim Hall – noch so ein Fall…
Denn auch mit ihm verbinden wir so gern coole Klänge. Bekannt vor allem für einen warmen Ton, für delikate „Akkordarbeit“ und eine vollkommen entspannte Spielkultur, konnte sich Hall auch von einer anderen Seite zeigen: spannend, pulsierend und frei, abstrakt und gelegentlich düster. Der Gitarrist war beileibe nicht nur der sanfte Lyriker, der leise Poet. Ein Freund auch einer sehr offenen, experimentierfreudigen Spielhaltung. Als wollte Bob Brookmeyer sagen: „Nicht nur mich, auch dich, Jim, haben sie immer unterschätzt!“, lud er ihn zur Produktion von On the Way to the Sky ein.
Noch enger als die Verbindung mit Hall war Brookmeyers Verbindung mit Mel Lewis. In so gut wie allen Perioden und Stationen von Brookmeyers beruflicher Karriere spielte der Schlagzeuger eine direkte oder indirekte Rolle. Permanent helfen sich beide gegenseitig, in besseren wie in schlechteren Zeiten. Der eine öffnet dem anderen immer wieder Türen; Lewis ist es auch, der seinem Freund wichtige Kontakte jenseits des Atlantiks verschafft. Und noch etwas zeichnete beide gleichermaßen aus: Sie erwiesen sich immer wieder als Mentoren, gerade auch in Europa. Quasi „institutioneller“ Ausdruck dessen war u.a. Brookmeyers 1994 gegründetes New Art Orchestra, das junge Musiker aus Deutschland und den Niederlanden vereinte und die Abkehr von der klassischen Big-Band-Ästhetik fortschrieb.
Bob Brookmeyer hatte schon früh damit begonnen, sich für moderne Klassik und Zeitgenössische, Neue Musik zu interessieren. In jungem Alter hört er intensiv Webern, Debussy und Stravinsky und befasst sich in der Folgezeit mit Komponisten wie Witold Lutoslawski, Luciano Berio und Pierre Boulez. In diesem Zusammenhang darf seine langjährige enge Freundschaft mit Earle Brown nicht unerwähnt bleiben, einem amerikanischen Komponisten der New York School, der u.a. mit John Cage kooperierte und mit einem eigenen graphischen Notationsprinzip für „offenere Formen“ viele beeinflusste - von Karlheinz Stockhausen über die New Yorker Downtown-Szene und John Zorn bis hin zu jüngeren Komponisten. Brookmeyers Experimentierfreudigkeit mit freieren Formen und Ausdrucksmitteln der Neuen Musik innerhalb des Jazz-Idioms war 1989 keineswegs neu. Neu hingegen, dies auch mithilfe von Elektronik zu tun.
Dabei ließ er auch als Instrumentalist immer wieder seine Kompromisslosigkeit durchblitzen – weniger als Ventilposaunist (als den ihn die meisten kennen) mit seinen elegant fließenden, geschmeidigen Improvisationen. Eher als Klavierspieler (der u.a. ein Duo-Album mit Bill Evans aufnahm): gelegentlich sperrig, unkonventionell und so gar nicht „schulmäßig“.
Wolfgang Hirschmann, von 1987 bis 2002 Produzent und Manager der WDR Big Band, erlebte ihn bei der Orchesterarbeit gelegentlich auch als Pianisten: „Wenn man etwa bei Proben hörte, was er auf dem Klavier anschlug, war das nicht gerade ‚pianistisch‘ im klassischen Sinne. Aber du konntest dabei seine Arrangements heraushören: Da war bereits jeder Ton zu hören, du konntest dir sofort vorstellen, wer was übernehmen würde.“ Pianisten, oder besser gesagt: Keyboarder – und gleich zwei von ihnen (Rainer Brüninghaus und Joachim Becker) - spielen eine wesentliche Rolle in der Suite On the Way to the Sky. Brookmeyers Faible für Klangfarben gewinnt hier noch mehr an Bedeutung, eingebettet in lineare, horizontale Prozesse, bisweilen aufgebrochen durch abrupte Akkordcluster.
On the Way to the Sky war das Resultat eines Kompositionsauftrags des WDR. Hirschmann wusste um Brookmeyers Interesse an experimentelleren Formen und um die exklusiven Möglichkeiten, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk bietet. Außerdem ging es ihm darum, das Profil des Kölner Klangkörpers zu erweitern. „Das ist bei Komponisten immer das Problem: Auf der einen Seite möchten sie gern schreiben, was ihr Geschmack oder ihr Gefühl ihnen sagt, auf der anderen Seite gibt es solche, die davon leben müssen. Und da beginnt das Problem. Doch der Rundfunk kann es eben ermöglichen, auch einmal Dinge zu realisieren, die nicht für Platte, sondern fürs Radio gedacht sind. Davon hat auch ein Stockhausen gelebt. Bob arbeitete intensiv mit Farben. Und ich dachte, das wäre einmal ein interessanter Kontrapunkt zu dem, was man sonst hört.“
Brookmeyer war sich bewusst, dass hier eine neue Phase für ihn begann. Für einen Handzettel der einzigen Live-Aufführung von On the Way to the Sky in der Kölner Musikhochschule einen Tag nach der Studioaufnahme schreibt er: „Langsam betrete ich die Welt der Elektronik – Synthesizer-Sounds werden Teil meiner Sprache.“
Anfang der 80er Jahre hatte es den Komponisten nach Europa gezogen. In der Alten Welt findet der Amerikaner ein ungleich kreativeres Umfeld und „künstlerische Freiheit“ (Brookmeyer), nicht zuletzt eine Infrastruktur, die ein Schaffen jenseits der Konvention fördert. Ein besonders fruchtbares Betätigungsfeld eröffnet sich ihm (wie auch Lewis) in Köln. „Ich glaube, die WDR Big Band ist wahrscheinlich die beste Radio-Band in Europa, gefolgt von der in Kopenhagen“ (von 1996 bis 1998 sollte er die Leitung der Danish Radio Big Band übernehmen). Mel Lewis bezeichnete Köln gar als „zweite Heimat“, den Kölner Klangkörper als „meine zweite Liebe“ und gestand, mit ihr „fast mehr Zeit als mit meiner eigenen Big Band“ verbracht zu haben.
1999, wieder einmal in Köln, blickt Brookmeyer auf jene Schaffensperiode zurück: „Ich bin seit elf Jahren glücklich verheiratet, das hat einiges verändert. In den achtziger Jahren war ich mit meiner vorausgegangenen Ehe nicht glücklich und begann zu experimentieren. Ich versuchte Schmerz musikalisch auszudrücken, meine Version von Avantgarde. Als ich dann Ende der 80er On the Way to the Sky realisierte, war das für mich der Beginn einer ruhigeren Periode.“
Die 1991 ebenfalls mit der WDR Big Band aufgenommene CD Electricity (nomen est omen) setzt den Weg der 1989 eingespielten Suite konsequent fort. Wieder sind zwei Kölner Keyboarder dabei - Rainer Brüninghaus und Frank Chastenier -, Gitarre spielt diesmal John Abercrombie. Brookmeyer: „Electricity ist das Kind von On the Way to the Sky“.
Die vorliegende Musik war die erste Komposition, die er nach der Hochzeit mit seiner vierten und letzten Frau Jan fertigstellte. Immer wieder äußerte Bob Brookmeyer den Wunsch, dass diese Rundfunkproduktion irgendwann auf Tonträger erscheinen möge. Auf die Frage eines amerikanischen Journalisten, welche seiner Arbeiten am stärksten sein Leben widerspiegele, antwortete er: „On the Way to the Sky“.
Karsten Mützelfeldt