Jazzline N 77020 (2CD)/ N 78020 (2LP)
ALSO AVAILABLE IN VINYL 180g DIRECT METAL MASTERING
1987-1990
Beschreibung
Seien wir ehrlich. Nicht jeder, der KölnBigBand hört, denkt sofort an Michael Villmow’s KBB. Bei einer Cologne Big Band dürfte mit ziemlicher Sicherheit der Klangkörper der WDR Big Band eher gemeint sein. Viele Städte in Deutschland haben aber tatsächlich Big Bands, die nach der Heimatbasis benannt sind und nicht der hiesigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Landschaft zugehören. Manche erweisen sich dabei im täglichen Überlebenskampf als verblüffend robust, als wolle man sie mit Nachdruck widerlegen: die Prognose, ihnen sei nur ein kurzes Leben beschieden. Es sind weniger Unternehmen denn Unternehmungen, initiiert und mit Herzblut versorgt von Musikern, die viel, sehr viel investieren: Idealismus, Energie, Zeit, Nerven und, ja – Geld. Blood, sweat & tears reichen da nicht aus. Die Größenordnung XL gilt für den instrumentalen Aufwand genauso wie für Engagement und Investitionen. Eines dieser subventionsfreien Orchester war die immerhin elf Jahre - sic! - existierende KölnBigBand (KBB), ins Leben gerufen und geleitet vom Saxophonisten, Komponisten und Arrangeur Michael Villmow.
1984, ein Jahr vor Abschluss seines Studiums an der Kölner Musikhochschule, wurde Villmow von seinem Kompositions-Lehrer Axel Jungbluth beauftragt, ein Big Band-Arrangement zu schreiben. Dies sollte einer Art Initialzündung gleichkommen, die alsbald zur Gründung der KBB führte.
Ein wesentlicher Antrieb für Villmows mutigen Schritt - gemeinhin gilt allein schon die Idee, eine Big Band zu gründen, als freiwilliger Schritt in den unausbleiblichen finanziellen Suizid - war die Motivation, etwas Anderes, „Neues“ zu machen. Eine Großformation mit Jazz- und Rockmusikern, die weder die swingende Big Band-Tradition weiterpflegt noch sich an der mehr experimentell ausgerichteten Ästhetik europäischer, und den Terminus Big Band bewusst vermeidender, large ensembles orientiert. Fusion im XL-Format, jenseits des Höher-Schneller-Weiter-Machismos mancher Jazzrock-Virtuosen, aber auch weit ab vom sweet, soft ’n‘ easy Gesäusel eines weichgespülten Pop- und Smooth Jazz.
Referenzmodelle gab es in Deutschland kaum, allenfalls das United Jazz & Rock Ensemble und Peter Herbolzheimers Rhythm Combination & Brass, die Villmow einst in seiner Geburtsstadt Hamburg live erlebte und die in ihm erste Ideen für things to come aufkeimen ließ. Der Unterschied: Hier waren es Jazzmusiker, die unter anderem Rock- und Funk-Grooves spielten und dabei ein Jazz-spezifisches Interesse nicht außer Acht lassen wollten - das Improvisieren, die solistische Selbstdarstellung.
Villmow schwebte demgegenüber ein mehr gemeinschaftlich geprägtes Konzept als Basis für solistische Highlights vor: ein kompakter, aber immer noch transparenter Band-Klang, wesentlich getragen von den Sounds der E-Gitarre, Keyboards und einer pulsierenden Rhythmusgruppe. Diese stilistische Vorstellung kam nicht von ungefähr. Villmow, Jahrgang 1956, gehört zu einer Rock-sozialisierten Generation - seine ersten musikalischen Erfahrungen sammelte er als Gitarrist - die Beschäftigung mit Jazz schloss für ihn Blues, Pop und Fusion nicht aus, im Gegenteil.
Für die KBB suchte er Gleichgesinnte: junge Musiker, die hier eine willkommene Abkehr von der traditionellen Big-Band-Praxis sahen, aber auch von der experimentelleren und freieren Ästhetik der damals die Kölner Szene prägenden Jazzhaus-Initiative, und die seine Haltung teilten und willens waren, ungeachtet aller Unkenrufe und Harakiri-Theorien an einer Sache wie der KölnBigBand gemeinsam zu arbeiten. Die Liste der Musiker, die in der Zeit von 1984 bis 1995 KBB-Mitglieder waren, kommt einem who is who der Kölner Szene gleich, die damals wie heute Kristallisationspunkt, Schmelztiegel und Sprungbrett für nationale und internationale Karrieren war und ist.
1987 spielt die Band ihr Debüt Update ein, nomen est omen: von swingendem Mainstream-Big-Band-Jazz keine Spur. Ein Erstlingswerk, das einer Visitenkarte gleichkommt, klar und deutlich das Konzept vorstellt, das eigene Profil hörbar macht. Bereits hier wird offenkundig, dass Villmow neben anpackenden Grooves auch ein Freund der Melodie ist, des Kantablen - da passt ins Bild, dass er von früh an bis heute sich viel mit Vokalmusik jedweder Couleur beschäftigt hat - und bei aller Faszination für das Energie-Spiel der US-amerikanischen Fusion-Szene sich (s)einen Sinn für musikalische Ökonomie bewahrt hat. Hierin mag sich auch ein europäisches und bei ihm speziell nordisches Erbe offenbaren.
Dies kommt noch deutlicher beim Nachfolge-Album zum Tragen. Und der Titel gibt einen in dieser Hinsicht – wenn auch „kodierten“ – ersten erkennungsdienstlichen Hinweis: N steht für Norwegen, ein Land, in dem Villmow einen wesentlichen Teil seiner Kindheit und Jugend verbracht hat, unweit von Oslo, umgeben von Natur und den Klängen norwegischer Volksmusik. Sie bildet für ihn gemeinsam mit Jazz und Klassik eine Art Dreieck prägender Einflüsse und Inspirationsquellen.
Der ästhetische Brückenschlag zu Norwegen wird noch untermauert durch die Präsenz des Saxophonisten Bendik Hofseth, der 1987 von seiner nordischen Heimat ins brodelnde New York gezogen war, um Michael Brecker in der Gruppe Steps Ahead abzulösen und der in bewusster Distanz zum Vorgänger den Hudson River gelegentlich in einen Fjord verwandeln konnte. Ein Mann mit mächtigem, sonorem, dringlichem Ton, der bisweilen so vokal, so sanglich daherkommt, dass man glaubt, einer postmodernen skandinavischen Hymne zuzuhören.
Der zweite Prominente auf N ist Chad Wackerman, der schon als Kind in Big Bands zu spielen pflegte, als langjähriger Schlagzeuger Frank Zappas profunde Rock-Erfahrungen sammeln konnte und als sideman des Gitarristen Allan Holdsworth mit komplexer, groovender Fusion-Musik nur allzu vertraut war.
Nicht ihre musikalische und schon gar nicht instrumentaltechnische Kompetenz ist es, die hier beeindruckt. Hier agieren zwei „Gäste“, die sich hörbar nicht mit dem üblichen Verständnis einer Gast- und Solisten-Rolle zufrieden geben, vielmehr Substanzielles zum großen Ganzen beitragen, dies eben nicht als job betrachten, sondern interessiert am big picture sind. Und damit teilen sie jenen Geist, der die KölnBigBand und ihren Leiter auszeichnet.
Michael Villmow ist seitdem ein wahrer Aktivposten, wenn es um das jazzmusikalische XL-Format geht, neben diversen anderen Arbeitsbereichen als Komponist und Instrumentalist. Die KBB aber bleibt ein Meilenstein in seinem Schaffen. Ein arbeitsintensives und von viel Idealismus getragenes Kapitel, das Energien und Synergien freigesetzt hat und ein besonderes, originelles und zeitloses Bigband Statement hervorbrachte. Nichts könnte Musik und Haltung der KölnBigBand besser auf den Punkt bringen als zwei Worte, mit denen der Trompeter Randy Brecker die KBB beschrieben hat: „serious fusion“.
Karsten Mützelfeldt