The Story Of A Great Band
D 77091 3 CD set
Beschreibung
Mit Disziplin und Präzision
In den Katakomben des Kölner Funkhauses, knapp zehn Meter unter der Bühne des „Großen Sendesaals“, war über Jahrzehnte ein jazzmusikalischer Schatz verborgen, den ich mit drei CD-Dokumentationen vor Ihnen ausbreiten möchte.
Im April 1957 beginnen die ersten Proben des neuen Jazzorchesters von Kurt Edelhagen in eben jenem holzgetäfelten Sendesaal, seither ist diese Bühne Probenplatz, Aufnahmestudio und Begegnungsort des Orchesters mit einer Reihe namhafter europäischer und US-amerikanischer Improvisatorinnen und Improvisatoren. Das Resultat dieser Studioaufnahmen und Konzertmitschnitte lagert dann als analoge Dokumentation – tief unter dem Bandstand – im Hörfunkarchiv des Westdeutschen Rundfunks. Über dreitausend Einzeltitel und Mitschnitte geben einen faszinierenden Einblick in die Geschichte des Orchesters Kurt Edelhagen. Mit dem aufkommenden Ruhm und den zahlreichen Tournee ändert sich der Name des Ensembles: Die Kurt Edelhagen All Star Band.
Im Keller füllt sich so über die Jahre ein großes Wandsystem mit den „E-Bändern“, eine chronologische Nummerierung der analogen Tonbänder lässt sofort die – oben auf der Bühne produzierten – Edelhagen-Titel nach Jahren ordnen, jeweils ein Klang-Beleg für die mit dem WDR vereinbarten Titel in diesem Werkvertrag. Alle Tondokumente erhalten, von Anfang bis zur Auflösung des Werkvertrags, die einheitliche Bezeichnung: Kurt Edelhagen und sein Orchester. Für unzählige WDR-Rundfunksendungen wird auf den immensen Jazzfundus, auf das „Kellermaterial“ zurückgegriffen, produziert in den Jahren 1957 bis 1974.
Mit dieser Edelhagen-Kompilation soll die Klanggeschichte der Edelhagen Big Band beim WDR Köln skizziert werden und die Reaktionen auf stilistische Veränderungen eines Jazzorchesters in den Zeiten von Cool Jazz, Hardbop und Free Jazz. Dieser Blick auf das Edelhagen Orchester beinhaltet aber auch die Geschichte, vor allem von europäischen Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker, die für das Ensemble komponiert und arrangiert haben.
Dass mit dem frühen Edelhagen-Repertoire in Köln eine Musik für großes Ensembles entsteht, die sich vom klassischen US-amerikanischen Big Band-Sound löst, ist Mitgliedern des Orchesters wie Jimmy Deuchar, Derek Humble, Stuff Combe oder später Bora Rokovic zu verdanken. Europäische Arrangeure von Rang, die für die Edelhagen Band schreiben, sind unter anderem auch der niederländische Trompeter Rob Pronk oder der belgische Pianist Francis Boland. Sie schaffen im Laufe der Jahre mit an einem sich stark wandelnden Orchesterprofil – und so sind diese Edelhagen-Jahre beispielsweise für Boland ein wichtiger Bezugspunkt, der seine Klangideen später in der eigenen Kenny Clarke/Francy Boland Big-Band fortführen wird.
Große Orchester und kleine Besetzungen
Die große Orchester-Formation und kleinere Besetzungen, vom Quartett bis zum Nonett, vermitteln auf diesem Edelhagen-Sampler den Eindruck eines regen, europäischen Jazzlebens in Köln, zudem fällt Edelhagens exemplarische Jazzarbeit an der dortigen Musikhochschule in diese frühen Jahre. Der „Informationskursus“ Jazz (Coppieters) professionalisiert schnell die praktische Beschäftigung mit Improvisation, und zahlreiche Mitglieder des Orchesters unterrichten Jazz, nicht nur an der Musikhochschule. Das Edelhagen Orchester, 1957 dokumentiert für ein damaliges WDR-Fernseh-Special, hat die folgende Besetzung:
Das Orchester Kurt Edelhagen (1957)
Trompeten: Jimmy Deuchar, Milo Pavlovic, Fritz Weichbrodt, Dusko Goykovich;
Posaunen: Helmut Hauk (b-tb), Christians Kellens, Ken Wray, Manfred Gätjens;
Saxofone: Kurt Aderhold, Jean-Louis Chautemps, Derek Humble, Franz von Klenck, Eddie Busnello;
Rhythmus: Francis Coppieters (p), Johnny Fischer (b), Stuff Combe (dr).
Anfang der 1960er Jahre treten zuerst die regionalen Aktivitäten des Orchesters in den Vordergrund. Zahlreiche Hörfunk-Mitschnitte in verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens, die „Konzerte für die Jugend“, präsentieren zahlreiche US-amerikanische Jazzstars und begründet den internationalen Ruhm der Kölner Big Band. Musiker aus Amerika wie die Trompeter Shake Kean und Rick Kiefer, der Saxofonist Wilton Gaynair und Posaunist Jiggs Whigham verändern nun die Edelhagen All Star Band und lassen den rein europäischen Zungenschlag vermissen. Wieder ist es ein WDR-Fernsehfim 1967, „Kurt Edelhagen über Kurt Edelhagen“, mit dem die zehnjährige Arbeit beim WDR Hörfunk gefeiert wird:
Das Orchester Kurt Edelhagen (1957):
Trompeten: Hanne Wilfert, Shake Keane, Rick Kiefer, Horst Fischer;
Posaunen: Jiggs Whigham, Manfred Gätjens, Otto Bredl, Nick Hauck;
Saxofone: Derek Humble, Heinz Kretzschmar, Wilton Gaynair, Karl Drewo, Kurt Aderhold;
Rhythmus: Bora Rokovic (p), Peter Trunk (b), Dai Bowen (dr).
Diese beiden vorgestellten Besetzungen (1957 und 1967) verdeutlichen den starken personellen Wandel, den dieses Orchester unter Edelhagen vollzieht. Da der Bandleader mit dem Westdeutschen Rundfunk von Jahr zu Jahr einen Werkvertrag über das Jazzrepertoire für den WDR Hörfunk sowie die Anzahl der öffentlichen Konzerte in NRW abschließt, bleibt die konkrete Besetzungen der eingespielten Titel bis auf die solistische Arbeit leider unbestimmt.
Der Jazz-Kapellmeister
Der in Herne geborene Bandleader gehörte zu den wenigen westdeutschen Orchesterleitern, die bereits Anfang der 1950er Jahre der nationalen Jazzszene wesentliche Impulse gaben – beginnend mit der Big Band-Arbeit für AFN Frankfurt, ab 1949 beim Sender Nürnberg und seit Mitte 1952 für den Südwestfunk Baden-Baden. Die Qualität der Formation zeigte sich auf einigen internationalen Festivals (Salon du Jazz in Paris) und veranlasste das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ 1953 zu seiner Titelgeschichte: „Eisgekühlter Hot. Bis die Lippen bluten: Jazz-Kapellmeister Edelhagen“ – ein Artikel, der die Band-Arbeit des Orchesterleiters zwischen Big Band- und Tanzmusik-Repertoire darstellt. Auch die Uraufführung des „Concerto for Jazz Band and Symphonic Orchestra“ des Komponisten Rolf Liebermann oder die Darbietung des „Ebony Concerto“ Strawinskys zeigten früh Edelhagens Bestreben, der improvisierten Musik durch betont seriöse Arbeit Respekt zu verschaffen.
Die Jazzarbeit für den Westdeutschen Rundfunk ist tendenziell die Fortführung seiner Band beim damaligen Südwestfunk (1952-1957). Deren Hörfunk-Redakteur Joachim E. Berendt bietet das Edelhagen Orchester bei zahlreichen Gelegenheiten an, auch in seiner Fernseh-Sendereihe „Jazz – Gehört und Gesehen“. In Köln nimmt die Unterhaltungsmusik in Fernsehshows der ARD, die Arbeit mit Tanzmusik für Schallplatte und die Filmmusiken für den Spielfilmbereich beachtliche Formen an. Das eigentliche Jazz-Orchester produziert vor allem für den WDR-Hörfunk oder wird bei internationalen Festivals als „Jazz-Botschafter“ – etwa für das Auswärtige Amt – präsentiert. Berühmte Tourneen in die UdSSR oder in den Nahen Osten forcieren den Ruf einer herausragenden Big Band auf internationalem Niveau. Als letzten Höhepunkt in der Bandgeschichte stellt 1972 die Einmarschmusik der Nationen bei den Olympischen Spielen in München dar.
„Disziplin“ und „Präzision“ kennzeichnen die vielfältige Orchesterarbeit des Bandleaders, der 1982 in Köln verstirbt. Zehn Jahre später erinnern sich Mitglieder seiner Big Band in meiner WDR Hörfunk-Sendung an die Arbeit unter Edelhagen und ihre Zeit in den WDR Studios.
Bernd Hoffmann
„Wir alle waren Angestellte der Firma Edelhagen“
Eine fiktive Gesprächsrunde über das Orchester Kurt Edelhagen mit dem Bassisten Jean Warland, den Saxofonisten Bubi Aderhold und Wilton Gaynair, den Pianisten Francis Coppieters und Bora Rokovic, dem Posaunisten Jiggs Whigham, dem Trompeter Rick Kiefer, dem Arrangeur Jerry van Rooyen und dem Bandleader Kurt Edelhagen. Die Gespräche mit diesen Musikern, die alle mit Kurt Edelhagen gearbeitet haben, fanden einzeln Anfang 1991 statt und waren die Grundlage einer WDR-Sendung zum 10. Todestag des Bandleaders, der am 9. Februar 1982 in Köln verstorben ist. Die Edelhagen-Zitate stammen aus drei Hörfunk-Interviews in den Jahren 1964, 1967 und 1970.
Jean Warland: Im Jahre 1956 wurde ich von einem französischen Bandleader engagiert. Bei ihm waren Kenny Clarke am Schlagzeug und ein paar andere gute Jazzmänner, darunter mein Freund Jean-Louis Chautemps, ein sehr guter französischer Tenorist. Jean-Louis berichtete mir eines Tages freudestrahlend von einem Angebot aus Deutschland, von einem bestimmten Kurt Edelhagen, der wollte ein internationales Jazzorchester aufbauen. Jean-Louis hatte ein Angebot bekommen. Mein Angebot würde nur wenig später eintreffen, davon war ich damals fest überzeugt, aber Edelhagen ignorierte mich. Das war meine erste „Begegnung“ mit Kurt Edelhagen. Und bald sprachen wir über diese Band; Mitglieder waren zum Teil alte Freunde, der Pianist Francis Coppieters und Stuff Combe – Schlagzeug –, der Bassist Johnny Fischer aus Wien. Das Orchester fing an mit Arrangeuren wie Rob Pronk und Francy Boland. Langsam gewöhnten wir uns daran, die Sendung des WDR in Brüssel regelmäßig zu hören, denn da spielte eine europäische Band, wie es vorher noch keine andere zu hören gab.
Bubi Aderhold: Das war damals ein guter Saxofonsatz, im April 1957: Franz von Klenck und Derek Humble – Alt, Jean-Louis Chautemps und ich – Tenor, Eddie Busnello – Baritonsaxofon. Ich hatte Kurt im Dezember 1948 kennengelernt, wir waren mit dem Orchester Joe Wick unterwegs, und diese Band platzte in Frankfurt. Da kam eines Abends Edelhagen in den Laden und schlug uns ein Engagement vor: dem Trompeter Fred Bunge, Arne Hülphers, Posaunist Erich Well und mir. Seine Band war schon bekannt durch den AFN. Harmonisch beschritt diese Band einen interessanten Weg, erschien uns musikalisch ausgereifter. 1950 gingen wir mit dem Orchester nach Nürnberg, zwei Jahre später schon zur nächsten Station, Baden-Baden, und schließlich folgten 1957 nur drei Musiker Kurts Formation nach Köln. Die Kölner Band gab sich viel aggressiver, vor allem durch die vielen ausländischen Kollegen.
Francis Coppieters: Edelhagen hatte von mir über Hazy Osterwald gehört, und so kam ich im April 1957 nach Köln. Für mich war diese Aufgabe sehr interessant, allein schon, weil ich viele Kollegen von anderen europäischen Städten her kannte, aber auch, weil ich nun schreiben konnte, was ich wollte. Der Ruf des Orchesters basierte auf der Begeisterung der damals jungen Musiker; Edelhagen hat es immer verstanden, sich mit begeisterten jungen Musikern zu umgeben.
Rick Kiefer: Der Kurt traf mich während seines Urlaubs in einem Münchner Hotel und bot mir eine Stelle als Leadtrompeter an: „Komm mit nach Köln. Ab Januar kannst Du bei mir als Satzführer spielen.” „Gut, aber ich muss Max (Greger) Bescheid sagen und habe nichts in der Hand.” „Wenn ich das sage, ist das wahr.” Aber ich schien ihm nicht ganz zufrieden, so nahm er vom Hoteltisch eine Serviette, schrieb einen Vertrag darauf, und ich ging nach Köln.
Jiggs Whigham: Das Orchester Edelhagen war in Amerika schon früh ein Begriff – und damals gab es noch die ganz große Trennung zwischen europäischer und amerikanischer Jazzmusik. Das war eine Rarität in Europa, eine Jazzband in Deutschland, die gegroovet und geswingt hat.
Bubi Aderhold: Wie das in Deutschland so ist, so ein Orchester fand nie seine eigene Linie. Da hieß es: „Spiel doch mal ,Skyliner‘, oder spiel doch mal wie Glenn Miller, oder mach doch mal Kenton!“ Da ist keiner auf die Idee gekommen, spiel doch mal wie Edelhagen. Aber, die Repertoirelinie der Band – wie man sie von Basie und Kenton her kennt –, die ist erst hier in Köln entstanden durch die ständige Arbeit einiger erstklassiger Arrangeure.
Jerry van Rooyen: Edelhagen wollte mit seiner Kölner Band nicht mehr amerikanische Orchester kopieren, denn er war hier immer auf der Suche nach Arrangeuren: Sein Trompeter Jimmy Deuchar hat viel für ihn geschrieben, Francy Boland, Rob Pronk, später Bora Rokovic, die arrangierten nicht wie amerikanische Musiker, und auch ich habe einiges für dieses Orchester instrumentiert.
Francis Coppieters: Was das Publikum angeht, so schlug die Begeisterung hohe Wellen. Sie sahen und hörten ein internationales Orchester mit Deutschen, Engländern, Belgiern, Franzosen, auch einem Italiener, einem Schweizer und einem Österreicher – also eine Sensation, zumal es Auftritte beim Fernsehen gab.
Rick Kiefer: Bei der „Battle of the Big Bands“ (der Big Bands von Edelhagen, Thad Jones/Mel Lewis und Kenny Clarke/Francy Boland am 7. September 1969) im Kölner Sartory-Saal waren wir die beste Band. Besonders die Amis bei Edelhagen wollten den Musikern von Thad Jones und Mel Lewis die Qualität dieser Big Band demonstrieren.
Francis Coppieters: Vergessen Sie nicht die Schallplatten-Industrie, die in Köln beheimatet war und auf großen Touren lief. Kurt hat bei diesen Produktionen auf saubere Arbeit gesetzt, er hat lange gefeilt an den Aufnahmen. Das hat ihm immer sehr gefallen.
Bora Rokovic: Präzision war keine Vergewaltigung. Es war halt drin in diesem Orchester. Da ist ein Klangkörper entstanden, der bis zum heutigen Tage unvergleichbar ist. Das Orchester hat das Repertoire aus eigenen Kräften geschaffen: Das ist der große Unterschied zwischen Edelhagen und den anderen Formationen.
Jerry van Rooyen: Ich war oft dabei im Studio und hatte nicht den Eindruck, dass er jedes Stück 23 Mal aufnehmen wollte. Aber er war schon ein Perfektionist, verlangte Präzision, und dagegen kann man nichts sagen. In meinem Umgang mit Jazzmusikern habe ich gelernt, dass ein zu häufiges Wiederholen problematisch wird: Die Spannung und die Frische bleiben auf der Strecke.
Jiggs Wiggham: Edelhagen hat uns auf Perfektion getrimmt. Manchmal war es meiner Meinung nach zuviel. Es hat Zeiten gegeben, in denen wir ein Stück vier bis fünf Stunden bearbeitet und aufgenommen haben. Nach dem 20. Take sagt man dann auch: „Muss das noch sein?“ Wenn aber ein Solo in Ordnung war, wurde daran nicht mehr herumkorrigiert. Das wiederum spricht sehr für ihn.
Kurt Edelhagen: Präzision heißt ja bei mir nicht, dass ich mich bewerbe, gemeinsam im Verein mit Krupp das Präziseste herzustellen, sondern dass ich einen gewissen Ausdruckswillen habe und dass ich diesen Ausdruckswillen so bis ins Letzte gehend versuche zu realisieren, wie es nur überhaupt möglich ist.
Jean Warland: Derek Humble war natürlich einer meiner großen Helden, ein unvergleichlicher erster Leadsaxofonist – der immer zu spät zur Probe kam. Eines Montags brachte Edelhagen ein neues Francy Boland-Arrangement mit: das später (durch die Clarke-Boland-Band) so berühmte „Sax No End“ mit dieser wunderschönen Saxofonpassage. Edelhagen erkannte die Schwierigkeit des Stücks, und so fing der Saxofonsatz an, ohne Derek diese lange Stelle zu proben. Sie übten ca. 20 Minuten, aber Derek war noch immer nicht an seinem Platz. Da ging Posaunist Otto Bredl an die Studiotür und sagte den Saxofonisten: „Wenn ich Derek sehe, hört mit dem Üben auf. Wir wollen ihn etwas überraschen.” Schließlich kam Humble und setzte sich zu den anderen Saxofonisten. Edelhagen zählte ein, und in dieser langen Unisonopassage, gespielt von den fünf Saxofonisten, war kein einziger Fehler zu hören. Derek spielte alles genial vom Blatt – und von dieser Qualität gab es viele in diesem Orchester. Alle Instrumentalisten hatten dieses hohe Niveau.
Wilton Gaynair: 1964, bei meinem Eintritt in die Edelhagen-Band swingte das Orchester besonders gut, und das Spielen bereitete viel Freude. Das Orchester kam gerade aus Russland zurück. Wir fuhren für drei Wochen in die Schweiz, traten mit den Blue Angel-Girls aus Paris auf und spielten für sie „Chinatown“. Im Saxofonsatz saßen Derek Humble, Karl Drewo, Heinz Kretschmar und Bubi Aderhold. Edelhagen wollte später diese Kombination mehrfach auflösen. Doch ich riet ihm, die Besetzung nicht zu zerstören, denn sie hatte einen wirklich fantastischen Sound.
Kurt Edelhagen: Was man mir nicht ohne weiteres abnehmen mag, weil ich äußerlich sehr ruhig erscheine, ist die Tatsache, dass ich doch sehr emotional bedingt bin, sehr von den Gefühlen abhängig. Ich habe das schon sehr früh gemerkt und habe mich darin geübt, meinen Emotionen nicht soviel Raum zu geben, wie ich es gerne getan hätte, und deswegen bin ich in den Ruf gekommen, ein kühler Mensch zu sein. Außerdem, wenn man ständig mit so vielen Individualisten zu tun hat, ist man doch mehr oder weniger gezwungen, gewisse Richtlinien zu finden, eine faire, kühle, nüchterne Basis, auf der alle gleich behandelt werden. Dass sich das teilweise in der Musik niedergeschlagen hat, lässt sich gar nicht verleugnen. Im Grunde liegt mir das Kühle und Nüchterne gar nicht, im Grunde liegt mir das Rauschhafte, das Schöne, das Jubilieren, die maßlose Freude auch in der Musik.
Wilton Gaynair: Allmählich änderte sich aber das Band-Repertoire. Wir spielten mehr kommerzielle Musik. Beim WDR war die Edelhagen-Band noch ein reines Jazzorchester. Ging es aber zum Kanzlerball nach Bonn, gab es keinen Spaß. Sofort kamen die Beschwerden: „Die Band ist zu laut“. Die Tänzer liebten diese Musik nicht, sie war ihnen zu jazzig.
Jiggs Whigham: Als ich 1966 hierherkam, war die Band schon einige Jahre beim WDR beschäftigt. Damals haben wir neben der Tätigkeit als Jazz-Big-Band einige Fernseh-Sendungen gemacht, die bei uns nicht besonders beliebt waren. Für „Varieté-Zauber“ haben wir Tage und Wochen in diesem Bunker gesessen und Varieté-Musik gespielt, und das war für uns alle nicht sehr toll.
Jerry van Rooyen: Ich habe viele Jahre für Edelhagen geschrieben. Noch kurz vor der Auflösung der Band begannen die Arbeiten für die Olympiade (August 1972 in München). Dieter Reith, Peter Herbolzheimer und ich hatten die Idee, jede Mannschaft eines teilnehmenden Landes, die bei der Olympiade einmarschierte, kurz mit ihrer Musik zu begrüßen. Daraus wurde eine Show von fast anderthalb Stunden. Natürlich war das eine Riesenarbeit, aber wir haben das so auf die Bühne gebracht.
Kurt Edelhagen: Also einmal habe ich 16 Individualisten und außerdem die Verantwortung eben für diese 16. Es gibt in Deutschland keine großen Säle. Nicht viele, jedenfalls. Und so bleiben Rundfunk und Fernsehen übrig. Die Schwierigkeit liegt eben darin, dass wir einmal einen Ball spielen müssen, zum anderen mal einen bunten Abend, dann wieder ein Jazzkonzert und dann haben wir im Fernsehen irgendeine Varieté- Zaubersendung. Und da liegen meine größten Schwierigkeiten. Und die Schwierigkeit der Musiker: Die spielen einmal die „Rhapsody In Blue“, und dann spielen sie wieder den „St. Louis Blues“ – Swing Musik. Diese Musiker müssen viele Seelen haben.
Jiggs Whigham: Für eine konventionelle Big Band kamen mit der Rockmusik 1968 die schweren Zeiten. Edelhagen versuchte, in die kommerzielle Szene zu kommen, als Konkurrenz zu Max Greger und den anderen Dancebands. Dazwischen gab es immer wieder Zeiten, in denen es gut weiterlief. Aber trotzdem ist diese Band auseinandergegangen, am 31. Dezember 1972. An diesem Tag haben wir unsere Kündigung vom WDR und von Kurt erhalten. Die wahren Hintergründe habe ich eigentlich nie verstanden.
Francis Coppieters: Wir waren im Grunde genommen alle Angestellte der Firma Edelhagen, weil nur Kurt Edelhagen feste Verträge mit dem WDR hatte. Wir hatten unsere Dienste aber praktisch jeden Tag im WDR gehabt.
Jean Warland: Kurt wurde danach noch zu Produktionen des Tanzorchesters beim WDR eingeladen, um einmal im Monat eine Produktion herzustellen. Er brachte seine eigenen Arrangeure mit, und wir spielten Tanzmusik unter Kurt Edelhagen. Für den Kurt war das eine sehr schöne Sache. Seine Gesundheit war nicht mehr so wie früher, und mir erschien es wie eine kleine Wiedergutmachung, ein bisschen Freude, um einige Musikanten wiederzusehen, die zum Teil in seinem Orchester gewesen waren.
Bora Rokovic: Und zum Schluss möchte ich nur eins nach diesen 15 Jahren sagen, in denen dieses Orchester gearbeitet hat: Kurt Edelhagen ist nicht vom Orchester wegzudenken. Das ist der Name dieses fantastischen Orchesters. Kurt Edelhagen und das Orchester sind eine deutsche Legende, nicht eine Legende vom Krieg oder von der Politik, sondern eine Legende in der Musik.
Kurt Edelhagen: Ich liebe das Schönste, ich mag das Schönste und möchte auch das beste Orchester haben. Und ich habe mit diesen Leuten eben mehr als nur gearbeitet, nicht nur mein Brot verdient, nicht nur meine Miete bezahlen zu können. Ich liebe dieses Orchester!