Jazzline N 77044 (2CD) / N 78044 (2LP)
ALSO AVAILABLE IN VINYL 180g DIRECT METAL MASTERING
Beschreibung
Das Spiegelbild
Als Freddie Hubbard nach Hamburg kommt und auf das Nudelbrett von Bühne klettert in „Onkel Pö’s Carnegie Hall“, steht er vermutlich so prominent wie selten zuvor oder danach mitten im Zentrum der Jazz-Entwicklung – mit Herbie Hancock und Wayne Shorter, Ron Carter und Tony Williams hat der Trompeter drei Jahre zuvor das Quintett „V.S.O.P.“ formiert; und da die vier anderen ehedem das legendäre zweite Quintett um Miles Davis gebildet hatten, stand Freddie Hubbard jetzt quasi in dessen direkter Nachfolge. Und da Miles sich gerade ziemlich grundsätzlich zurück gezogen hatte aus dem aktiven Betrieb, hörte die Jazzwelt diesem Mister Hubbard aus Indianapolis vermutlich noch ein bisschen genauer zu. Kurz: Frederick Dewayne Hubbard war wohl auf dem besten Wege, den Zenit der eigenen Karriere zu erklimmen.
Das Hamburger Konzert mit dem eigenen Quintett markiert beispielhaft den Standard, den Hubbard in jenen Jahren vor bald vier Jahrzehnten setzte.
Dieser Trompeter war tendenziell immer stilbildend. Oder umgekehrt: fast jeder Stil bildete ihn … Das war womöglich auch der Struktur von Hubbards musikalischer Entwicklung geschuldet – wichtiger als die Arbeit, wichtiger vor allem auch als die Veröffentlichungen unter eigenem Namen und als Band-Leader waren über viele Jahre hin Hubbards Qualitäten als „sideman“, als Mitstreiter in fremder Leuts Ensembles. In ihnen wird stets Hubbards persönliches Abbild der Epochen des Jazz erkennbar – kaum beginnt der 20jährige 1958 als Profi in New York, nach ersten Jazz-Begegnungen daheim mit den Montgomery-Brüdern sowie dem Studium dort, steht Freddie Hubbard mitten im Auge des wichtigsten Hurricans der Jazz-Moderne: neben Ornette Coleman ist er 1960 bei den Aufnahmen für die „Free Jazz“-Geburt dabei. Fünf Jahre später spielt er an John Coltranes Seite „Ascension“ ein – die Großen des Jazz jener Epoche, von J.J. Johnson und Slide Hampton, Thad Jones und Sonny Rollins bis zu den Arrangeuren Oliver Nelson und Quincy Jones schätzen die überwältigende technische Fertigkeit des Twens aus der Provinz. Und Art Blakey, lange Zeit der wichtigste Talente-Förderer im zeitgenössischen Jazz, wird auf den jungen Mann aufmerksam: schon ab 1961 ist Hubbard für drei Jahre Mitglied der „Jazz Messengers“ – noch so ein Ritterschlag.
Und fleißig ist dieser Hubbard – fast sechs Hände voller Mitarbeit an heute meist als „klassisch“ geschätzten Aufnahmen anderer Musiker sind Hubbards Bilanz der frühen Jahre, knapp zwei mit eigenen Produkten kommen hinzu; auch sie hoch geschätzt und bewertet. Oft gelten ja nur Schlagzeuger, Bassisten und Pianisten als „musician’s musicians“, als Virtuosen also, deren Qualität vor allem von Kolleginnen und Kollegen geschätzt und gerühmt wird, unabhängig von Publikum und Erfolg – aber dieser Trompeter muss damals auch so einer gewesen sein. Und was besonders wichtig ist: Epochale Neuigkeiten der Musik spiegeln sich immer in Hubbards Arbeit – Hardbop zunächst, dann die Revolte des Free Jazz, danach die Grenzgängereien hinüber und herüber zu Fusion und Jazzrock. Alles ist auch bei ihm zu finden, in seiner persönlichen Färbung. Weil es Mode war, ist diesem großen Stilisten auch darum sogar leicht Angeschnulztes auf Fusion-Terrain unterlaufen – als er vor allem für Creed Taylors CTI-Label in den Markt drängte. Aber was immer er auch spielte, war technisch unangreifbar und in den besten Momenten vom Feuer der Jazz-Improvisation erfüllt.
Die „V.S.O.P.“-Legende inklusive, ist das quasi die Vorgeschichte des Abends im „Onkel Pö“; gerade ist damals auch „The Love Connection“ erschienen, die frische Platte, deren Titelstück die Live-Aufnahme des NDR-Ü-Wagens am Lehmweg in Hamburg-Eppendorf eröffnet. Hubbards Band nimmt ein wenig Blakeys „Messengers“-Strategie auf: mit dem jungen Nachwuchs-Saxophonisten Hadley Caliman (der gelegentlich auch zur Flöte greift), mit dem damals 23jährigen Bassisten Larry Klein, der später immens vielseitig agiert, auch als Produzent, und Songwriter wie Randy Newman oder Joni Mitchell begleitet (mit Joni ist er zeitweilig auch verheiratet!), mit dem Schlagzeuger Carl Burnett. Vor allem aber brilliert im „Onkel Pö“ der Pianist Billy Childs – der ist 22 an diesem Abend. Übrigens gehört auch der einzigartige Sänger Leon Thomas zum Hamburger Konzert – ihm wird eine weitere Veröffentlichung der „…live im Onkel Pö“-Serie vorbehalten sein, ebenfalls mit Aufnahmen aus diesem Konzert.
Freddie Hubbards Karriere bekommt 1993 einen Knick; genauer: einen Riss. Der hat dramatische Folgen – der Trompeter kann nicht mehr spielen. Die Lippen haben dem andauernden Überdruck nicht standgehalten, und einige Jahre braucht Hubbard, um sie (und sich selber!) heilen und regenerieren zu lassen. In dieser Zeit geht er durch tiefste Tiefen. Im Grunde muss er sich neu erfinden danach – und spielt nun gern (wie früher zuweilen auch schon) das weichere, sanfter klingende Flügelhorn, für das weniger Lippendruck nötig ist.
2008, mit 70 Jahren, ist Freddie Hubbard gestorben – das „Wunderkind“ wird in den Nachrufen gerühmt, der „Pionier“ … vor allem aber bleibt er der Spiegel vieler Epochen des Jazz. Sie alle klingen mit in Freddie Hubbards Musik – auch Ende Oktober 1979 im „Onkel Pö“.
Michael Laages