Jazzline N 77039 (CD) / N 78039 (LP)
ALSO AVAILABLE IN VINYL 180g DIRECT METAL MASTERING
Beschreibung
Johnny Guitar Watson
Wer heute noch ein wenig neues Flair vom alten „Onkel Pö“ in Hamburg abbekommen will, muss sich mit Harriet Maué treffen. Und zwar möglichst dort, wo ihr Stammplatz war in alten Zeiten – auf der rechten Seite etwa mittig, mit schräger Perspektive auf die Bühne in der Tiefe des Raumes (wo heute die Küche des nullachtfuffzehn-chicen Ketten-Restaurants ist), war die Bar untergebracht in „Onkel Pö’s Carnegie Hall“; hier hat Harriet ausgeschänkt, und für viele muss dieser Ort eine Art mystisches „Zuhause“ gewesen sein. Und Harriet war sozusagen die Herbergsmutter – wenn sie erzählt vom „Onkel Pö“, wie es damals war, glänzen die Augen; und eine längst versunkene Welt bekommt wieder das alte Gesicht.
Harriet, die Frau an der Bar, war zusammen mit ihrem damaligen Mann, dem Bassisten und Programm-Gestalter Wolfgang Luschert, aus dem schon Mitte der 60er Jahre an der Brandstwiete, gegenüber vom „Spiegel“, gegründeten „Jazzhouse“ herüber gewechselt ins Lokal mit dem illuster-ironischen Namen, der dem weitaus größeren Konzerthaus in New York Reverenz erwies: „Carnegie Hall“. Die hatte sich ja 1938 mit Benny Goodmans legendärem Konzert dem Jazz geöffnet; die schummrige norddeutsche Miniatur-Kopie allerdings war zunächst tatsächlich im feinen Pöseldorf und dann nach Umzug und Neu-Eröffnung am Lehmweg 44 in Hamburg-Eppendorf auch für manchen Karriere-Start gut. Und als Johnny „Guitar“ Watson, der texanische Blues- und Funk-Musiker, Anfang Dezember 1976 hier Station machte, hatte kurz zuvor die wohl berühmteste aller „Onkel Pö“-Legenden gerade ihren Anfang genommen: die Traum-Story um die Karriere des bis dahin weithin unbekannten Sängers Al Jarreau. Im Dezember 2016 übrigens, vier Jahrzehnte danach, hat Jarreau mit der NDR Bigband noch einmal eine Europa-Tournee mit Duke Ellingtons Musik absolviert – Erinnerung pur muss das gewesen sein.
Es hatte also schon ein wenig Tradition, dass beim Konzert des „Watsonian Institute“ (wie der Gitarrist und Sänger die Band nannte in pseudo-akademischer Ulk-Laune) ein Übertragungswagen des NDR den schmalen Parkraum neben dem „Onkel Pö“ besetzte. Michael Naura für die Jazz-Abteilung des Senders hatte spätestens seit der ersten Ausgabe des „New Jazz Festivals“ im Jahr zuvor im Eppendorfer Musik-Laden dauerhaft Position bezogen, Klaus Wellershaus von der Rock-Fraktion zog nach – weshalb die NDR-Archive überreich sind an Aufnahmen aus dem eher überschaubaren Konzertraum, der schon als „voll“ galt, wenn das Publikum 150 Köpfe zählte. Aber gut und gern und oft waren es auch doppelt so viele.
Dieses Publikum übrigens klingt immer mit in allen „Pö“-Aufnahmen; und wenn Einheizer und Stimmungsmacher wie der 1935 im texanischen Houston geborene Johnny Watson das Podium erkletterten, hielten die Hamburger auch ordentlich mit, ganz ununterkühlt … vermutlich ist in einigen Momenten des Konzertes Anfang Dezember 1976 auch eine der (neben Harriet) wichtigsten Seelen des „Onkel Pö“ zu hören voll lärmendem Enthusiasmus: der Musik-Kritiker Werner Burkhardt. Burkhardt (der für „Die Welt“ und später die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb sowie außerdem grandiose Radio-Programme gestaltete) gehörte mit Naura, Siegfried Schmidt-Joos vom „Spiegel“ und dem umtriebigen Produzenten Siegfried E. Loch zu den Säulen des medialen Rummels und Trubels um das „Pö“. Burkhardt (berufslebenslang mit Stammplatz an Harriets Theke gesegnet) starb 2008, kurz nachdem er 80 Jahre alt geworden war … die Geschichte von „Onkel Pö’s Carnegie Hall“ aber war schon am 31. Dezember des Jahres 1985 zu Ende. Das Bauamt hatte festgestellt, dass die Dauerbeschallung die Statik des Eckhauses am Lehmweg stark in Mitleidenschaft gezogen hatte; und so durfte das nicht weiter gehen.
Johnny „Guitar“ Watson ist übrigens am 17. Mai 1996 im japanischen Yokohama gestorben; und zwar so, wie sich das jeder echte Musik-Mensch wünschen mag: „live in concert“ und „on stage“, auf der Bühne also - an plötzlichem Herzversagen. Zwanzig Jahre vorher vibriert und pulsiert der hier dokumentierte „Onkel Pö“-Abend mit dem „Watsonian Institute“ nicht nur dank der kraftvollen Akustik, die im Musik-Laden herrschte, sondern auch auf Grund der Dauer-Power, die Watson mit dieser gut sortierten und auch in den Bläser-Sätzen kernig arrangierten „working band“ für jede Show von neuem entfesseln konnte. Gerade war ja Watsons Album „Ain’t that a bitch“ erschienen, mit dem er als Gitarrist wie als Sänger den eigenen Erstligaplatz unter den Propagandisten des noch einigermaßen frischen und handfesten Funk-Sounds behauptete; und Watson spielte natürlich Titel aus dieser Produktion im Hamburger Konzert.
Zu spüren ist aber auch, dass er nicht nur die „Ich stell‘ mal meine neue LP vor“-Routine ablieferte; Watson wird sehr wohl gewusst haben, dass hier ein gut informiertes Publikum auch erobert werden wollte. Wer sich darauf einließ, hat in „Onkel Pö’s Carnegie Hall“ immer gute Karten gehabt.
Michael Laages