DUKE ELLINGTON & HIS ORCHESTRA

N 77029Jazzline N 77029 (CD) / N 78029 (LP)

ALSO AVAILABLE IN VINYL 180g DIRECT METAL MASTERING

Live at the Opernhaus, Cologne 1969

 "E wie alle guten Dinge, E wie Edward, E wie Exzellenz, E wie Eleganz! Kurzum: E wie Ellington!" Eines der vielen Bonmots des Duke. Dass ein nobel auftretender Gentleman und Grandseigneur des Jazz, dessen adliger Spitzname für manchen schon einem naturalisierten Vornamen gleichkam, in einem Tempel der Hochkultur Hof hielt, war keine Überraschung.

Zwar ist die Kölner Oper nie ein regulärer Spielplatz für den Jazz gewesen, aber es gab sie – Jazz-Abende, freilich der improvisierenden Prominenz vorbehalten. Nach 1969 sollte Ellington auch 1970 im Opernhaus gastieren, der Veranstalter Gigi Campi organisierte zudem im Rahmen einer Week of Jazz in Action eine "Battle of the Big Bands" (mit Großformationen um Kurt Edelhagen, Slide Hampton und Mike Westbrook). Abschluss der "Jazz-Woche" war ein Auftritt der Kenny Clarke / Francy Boland Big Band mit den Gästen Carmen McRae und Dizzy Gillespie. 1972 gab Oscar Peterson auf Einladung Campis ein Mitternachtskonzert, drei Jahre später war es wieder ein Pianist, der mit seinem Köln Concert das Kölner Opernhaus erstmals ins Bewusstsein einer globalen Jazzgemeinde rückte, Keith Jarrett. 

1969 ist für Ellington ein besonderes Jahr. Am 29. April feiert er in seiner Geburtsstadt Washington seinen siebzigsten Geburtstag, nicht auf irgendeiner Bühne, sondern im Weißen Haus, dokumentiert auf dem Album 1969: All-Star White House Tribute to Duke Ellington (mit Mitgliedern seiner Band, aber auch Gästen wie Jim Hall, Dave Brubeck, Paul Desmond und Gerry Mulligan). Dort war schon Ellingtons Vater Eintritt gewährt worden, als Butler … Auf die Verleihung der Presidential Medal of Freedom durch Präsident Richard Nixon antwortet Ellington: "We speak of freedom of expression and we speak of freedom generally as being something very sweet and fat and things like that. In the end when we get down to the payoff, what we actually say is that we would like very much to mention the four major freedoms that my friend and writing-and-arranging composer, Billy Strayhorn, lived by and enjoyed. That was freedom from hate, unconditionally; freedom from self-pity; freedom from fear of possibly doing something that may help someone else more than it would him; and freedom from the kind of pride that could make a man feel that he is better than his brother."

Und wie sollte es auch anders sein: Wo immer der Duke in diesem Jahr auftritt, wird der Abend als "70th Birthday Concert" angekündigt und vermarktet (wie die Gastspiele am 25. und 26. November in Bristol und Manchester, erschienen auf Solid State). Paris arrangiert eine Geburtstagsparty für ihn und auch die Berliner Jazztage feiern ihn – und nicht nur mit ihm: Der Eröffnungsabend des 6. November steht unter dem Motto "Piano for Duke", mit Hommage-Auftritten von Joe Turner, Lennie Tristano, Joachim Kühn, Thelonious Monk und Cecil Taylor. Der dritte Festival-Abend ist "Tribute to Duke Ellington" überschrieben und präsentiert die Newport All Stars und – natürlich – den Klangkörper des Meisters. Für das Programmheft schreibt er die folgende Zeilen, einmal mehr Zeugnis einer wohlkalkulierten Charme-Offensive: "Awards, acclaim, honorary doctorates, and keys to cities clearly demonstrate that people are not only good, gracious and generous, but that somebody must have been listening. In response we say: Could there be anyone in the world more profoundly appreciative of the sensitivity and good taste of your eardrums? Thanx."

 

Zwei Tage nach dem Gastspiel in Berlin steht Köln auf dem Tour-Programm. Für die rheinischen Jazzfans ist dieser 10.11. ein Festtag, bevor am Folgetag auch der Rest des Rheinlandes feiert und den Beginn der fünften Jahreszeit zelebriert. Die Begeisterung ist groß, wenn auch nicht vergleichbar mit der von 1950, als sich der Bericht der Rheinischen Post eines Ellington-Konzerts im Düsseldorfer Apollo-Theater wie eine Chronik späterer Pop-Events liest: "Über hektisches Applaudieren steigerte sich der Beifall zum Orkan, zur Massensuggestion. Zustimmende Pfiffe, Schreie, Schluchzer, Getrampel, Ausrufe in noch nicht gehörter Menge prasselten Duke Ellington ebenso entfesselt-verschwenderisch entgegen, wie er selbst seine Synkopen verstreute. Der Begeisterungstaumel lässt sich mit der Trance gewisser Sekten vergleichen." (zitiert nach Hoffmann 2000, in: Duke Ellington und die Folgen, S. 90)

Die Zeitschrift Hör Zu kündigt die Deutschland-Tournee 1950 so an: "Die einen sprechen seinen Namen voll Entsetzen aus – die anderen schließen verzückt die Augen und sind ganz bei Ohr, wenn er seine berühmten präzisen Einsätze gibt. In einem aber sind sie sich einig – die Freunde und Gegner des Jazz: Edward Kennedy Ellington – kurz Duke (sprich: Djuhk, übersetzt 'Herzog') genannt, ist einer der aufregendsten Musiker unserer Zeit. Jetzt wird Duke für drei Tage nach Deutschland kommen. Der NWDR, der SWF und der Bayerische Rundfunk wollen seine Musik auf Band nehmen." (zitiert nach Hoffmann, S. 76)

Neunzehn Jahre später nimmt der WDR den Duke in Köln auf Band auf, ein Auftritt, der nun als CD vorliegt. Gastsolist auf der 69er-Tour ist der Organist Wild Bill Davis, der gelegentlich – wie der zwei Jahre zuvor verstorbene Billy Strayhorn - auch als zweiter Pianist agiert. Er ist auch dabei, als der Duke 1970 einen Köln-Aufenthalt zu Studioaufnahmen nutzt (jüngst veröffentlicht auf Duke Ellington – The Conny Plank Session/Grönland). 

Die Band präsentiert sich in hörbar guter Verfassung. Auch wenn das Repertoire fast ausnahmslos auf Klassiker setzt, gibt es Überraschungen – so wird beispielsweise "Take The 'A' Train" zu Beginn als Jazzwalzer gespielt. Höhepunkte sind u.a. Davis' Orgel-Feature in "Satin Doll", begleitet von Cat Andersons stratosphärischen high-note-Show-Einlagen, das stürmische "Up Jump" mit einem entfesselten Paul Gonsalves –+ vom Duke als "tenor saxophonic calisthenics" ("Fitness-Übungen") angekündigt –, und nicht zuletzt das süffig-singende Solo von Johnny Hodges in "Black Butterfly", ein berührendes Glanzlicht durch einen Altsaxophonisten, der ein halbes Jahr später verstirbt. 

Duke Ellington stirbt 1974. In seinen letzten Jahren befasste er sich noch einmal mit einem Vorhaben, das ihn seit Dekaden beschäftigte, aber ein unvollendetes bleiben sollte: "Queenie Pie", eine Jazz-Oper. Und wer weiß: Hätte er sie vollendet, wäre auch sie vielleicht in Köln zu erleben gewesen – im Opernhaus …

 

Karsten Mützelfeldt