Jazzline N 77025 (CD) / N 78025 (LP)
ALSO AVAILABLE IN VINYL 180g DIRECT METAL MASTERING
live in Moers 1978
Blakey in Moers?? In MOERS???
Oh yes.
"Along Came Betty" und "I Can't Get Started" inmitten frei improvisierter Musik? Hardbopper zwischen Freigeistern wie Cecil Taylor, Paul Rutherford, Misha Mengelberg, Yosuke Yamashita, Han Bennink, Evan Parker, Anthony Braxton und dem Globe Unity Orchestra?
Why not?
"What seemed to be an out-of-place booking followed. Although I had loved Art Blakey's music since I first heard the 1958 gem ‚Moanin', that hard-driving drummer's style was not an easy fit with the atonal and freely played sounds that dominated the festival." Eindrücke des amerikanischen Jazz-Journalisten und Photographen Frank Rubolino vom New Jazz Festival Moers 1978.
Auch zwei Jahre zuvor gab es sie: Augen- und Ohrenzeugen wie Rubolino, die ein Auftauchen der Jazz Messengers im Moerser Programm für "deplatziert" hielten - "old jazz" (in diesem Falle eine Mitte der 50er Jahre entwickelte und von den Protagonisten konsequent beibehaltene Spielart) im Rahmen einer Veranstaltung, die sich – nomen est omen – dem new jazz verschrieben hatte. Eine "Risikofreudigkeit" der etwas anderen Art?
So sehr Moers bereits früh ein eigenes Profil erkennen ließ, bedeutete dies keinesfalls ein dogmatisches Insistieren auf dem, was gemeinhin unter "free" verstanden wird. Außerdem war ein big name wie Art Blakey ein Publikumsmagnet. Und der Mitschnitt dokumentiert die Begeisterung, mit der die Band gefeiert wurde. Im Übrigen waren die Jazz Messengers anno 1976 nicht der einzige Act mit Traditionsbezug: Auch das Elvin Jones Quartett und das Archie Shepp Quintett traten hier auf – Bands mit einer nicht minder afro-amerikanischen Ästhetik (etwas, das als Kontinuum in Moers immer hochgehalten wurde). Zudem genoss Blakey den Status eines Musikers, der Jazzgeschichte geradezu verkörperte. Und wie wenig ihn der Veranstalter als "Fremdkörper" im Programm sah, offenbart allein schon die Tatsache, dass nur zwei Jahre später die Messengers erneut in Moers gastierten.
Der Schlagzeuger hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er dem Free Jazz nichts abgewinnen konnte. Auch wenn Blakey im Titelstück des 64er-Albums Free for All explosiver und freier als je zuvor agiert hatte, mit einem Wayne Shorter, dessen Soli sich im Grenzbereich des Hardbop zum Free Jazz bewegten und eine Art Frühform des free bop abgaben: Die Jazz Messengers waren und blieben Inbegriff des Hardbop, stilbildend und obendrein eine der, wenn nicht die populärste Formation dieser Richtung. Vor allem aber waren sie eines: eine Band-Institution, die dreieinhalb Dekaden existierte und von unzähligen Musikern durchlaufen wurde, von einem – und dies ist wahrlich nicht übertrieben – who is who des Jazz.
1976 neigte sich eine Übergangsperiode dem Ende entgegen. Blakeys Aufnahmetätigkeit in den vorausgegangenen zehn Jahren war gering, im Vergleich zu früheren Zeiten sehr gering. Mochte der Bandname auch weiter existieren und das Repertoire sich immer und immer wiederholen - in personeller Hinsicht erwiesen sich die Jazz Messengers alles andere als konstant: Permanente Besetzungswechsel waren beinahe an der Tagesordnung, mit der Folge, dass kaum eine Band-Ausgabe an die Geschlossenheit früherer Editionen heranreichte. Erst 1977 versammelt Blakey wieder Messengers um sich, die etwas länger zusammenbleiben werden, insgesamt drei Jahre: Trompeter Valery Ponomarev, Tenorist David Schnitter, Altsaxophonist Bobby Watson, Pianist James Williams und Bassist Dennis Irwin – mit ihnen wird der Bandleader 1978 nach Moers zurückkehren.
1976 begann eine Zusammenarbeit Blakeys mit dem niederländischen Impresario Wim Wigt. Wigt erschloss den Messengers zunehmend den europäischen Markt und veröffentlichte mehrere Blakey-Alben auf seinem eigenen Bop-orientierten Label Timeless Records. Und das in einer Hoch-Zeit des Jazzrock, als es akustischer, swingender straight-ahead jazz schwer und mit deutlich abnehmender Popularität zu kämpfen hatte. Dies sollte sich wenige Jahre später mit dem Neobop ändern, mit Protagonisten, denen eben jene Jazz Messengers als Sprungbrett gedient hatten: Terence Blanchard, Donald Harrison, Wallace Roney, Mulgrew Miller und – allen voran – Wynton Marsalis.
Auch während einer Tournee konnte es immer wieder zu vereinzelten Wechseln in der Besetzung kommen, so auch im Sommer 1976. Einen Tag vor dem Moerser Auftritt ersetzte Woody Shaw den verhinderten Bill Hardman. In den Wochen zuvor saß mal Walter Davis, Jr., mal John Hicks, mal Albert Dailey am Piano, in Moers war es Mickey Tucker. Anstelle des dort angekündigten Bassisten Yoshio "Chin" Suzuki spielte Chris Amberger (übrigens ein Bindeglied zur freien Szene, denn er arbeitete kurz zuvor mit Anthony Braxton und Leo Smith, die auch in Moers auftraten).
Dieses personelle Karussell trug dazu bei, dass Blakey seinem Image, stets junge Musiker um sich zu scharen, nicht immer gerecht werden konnte. In Moers präsentierten sich gleich mehrere Generationen: Tenorist David Schnitter war damals 28, Pianist Mickey Tucker 35, Bill Hardman (bereits Ende der 50er in Diensten von Blakey) 43, der Bandleader 56 Jahre alt.
Drei Monate zuvor hatte die Band in New York das Album Backgammon aufgenommen. Mit dem Titelstück eröffnet der Moerser Auftritt, ein burner, der gleich den energetischen Level des gesamten Programms vorgibt. "I Can't Get Started" ist nur für zwei Minuten und zwanzig Sekunden das, was es ursprünglich ist, eine Ballade - danach geht es ungleich kraftvoller weiter. Dann folgt etwas, auf das bei Konzerten zu verzichten sich Blakey kaum leisten konnte, der – auch in Moers dampfende – "Blues March". Nach dem zweiten Benny-Golson-Klassiker "Along Came Betty" beschließen zwei Walter-Davis, Jr.-Kompositionen den Set, "Gypsy Folk Tales" und "Uranus" – beide eine tour de force, Hardbop in Reinkultur.
Wenige Wochen nach dem Gastspiel am Niederrhein wird der Schlagzeuger vom britischen Journalisten Mike Hennessey interviewt. Und Blakey erzählt ihm, warum so viele Musiker nur kurze Zeit in der Band verbringen: "I told them to go and get their own band, I thought it was time for them. And they would go doing well. They didn't want to leave, they wanted to just hang on. I said, ‚look, we're not having a Modern Jazz Quartet thing!'" In personeller Hinsicht waren die JM, die Jazz Messengers, eine wahre Antipode, ein Gegenentwurf zum MJQ. Und erst recht in ästhetischer Hinsicht – mit ihrem hard-drivin', hard swingin' hard bop thing.
Karsten Mützelfeldt