Jazzline N 77004 (CD) / N 78004 (LP)
ALSO AVAILABLE IN VINYL 180g DIRECT METAL MASTERING
1961 COLOGNE, GÜRZENICH CONCERT HALL
Beschreibung
In den 50er Jahren hatte es Oscar Peterson mit einer schlagzeuglosen Besetzung zum bestbezahlten Trio des Jazz gebracht. Der Ausstieg seines Gitarristen und die wachsende Nachfrage für Auftritte in größeren Hallen ließen ihn und seinen künftigen Manager Norman Granz über eine neue Instrumentierung nachdenken: Anstelle einer kammermusikalischen Besetzung mit Klavier, Bass und Gitarre entschlossen sie sich für das klassische Pianotrio - und damit für einen akustisch wesentlich präsenteren Schlagzeuger. 1958 übernahm Gene Gammage die Rolle, im folgenden Jahr konstituierte sich jene Formation, die für nicht wenige als die beste des Pianisten gilt. Peterson, Ray Brown und der neue dritte Mann Ed Thigpen traten im Übrigen nicht nur auf der Bühne als Dreiergespann auf: 1960 gründeten sie gemeinsam in Toronto die Advanced School of Contemporary Music. Ausgebildet wurden ausschließlich Rhythmusgruppen, die Unterrichtssituation war eine ausgesprochen exklusive: Ein Schüler von Peterson hatte auch mit Brown und Thigpen zu spielen und einer von Brown kam nicht daran vorbei, sich einem Peterson und Thigpen zu stellen. 1964 schloss die Schule, aus finanziellen Gründen. Ein Jahr später löste sich auch das Trio auf. Damit endete ein Bandkapitel, das der Pianist später so umschrieb: "Sechs Jahre unglaublicher Musik".
"Every night there was a threatening contest. I came downstairs or coming into the club and they would say, ‘How do you feel?' I said, ‘I feel good.' They said, ‘I hope so.' Why? They said, 'because we're are going to waste you tonight!' That was the attitude!"
Diese Spielhaltung kennzeichnete vor allem das Trio mit Ray Brown und Ed Thigpen (in etwas abgeschwächtem Maße auch die spätere Besetzung mit Jones und Durham). Sich an der Seite Petersons zu behaupten, war eine der größten Herausforderungen: Es galt im Trio eines Virtuosen zu bestehen, der an seiner dominierenden Rolle nie einen Zweifel ließ, höchste Ansprüche stellte und gelegentlich das Leben der Rhythmusgruppe auch noch dadurch erschwerte, dass er vor einem Stück nicht die Tonart verriet. Aber mit sportivem Ehrgeiz entwickelten Brown und Thigpen eigene Geheim- und Absprachen und versuchten ihrerseits den Meister herauszufordern. Genau dieses Spiel mit dem Feuer liebte Peterson. Der Bassist erinnert sich:
"First thing that happens, you put a group together and you want this group to play good and you rehearse and practise, you know. And after it becomes a good group, then you have the elacisity to say, ‘hey, I challenge you tonight!' And Oscar Peterson just happens to be that particular type of guy, he likes a challenge. We would get on the stage at night and before we play the first number we look at him and say, ‘we gonna stomp you into the ground!' And he would say, ‘oh yeah?!?' Then he would really play the piano!"
Peterson war ein pianistisches und physisches Schwergewicht. Eines, das einem in jenen Jahren des steten jazzmusikalischen Wandels ein gehöriges Maß an Sicherheit gab. Keine Überraschungen, man wusste, was einen erwartete. Der Kanadier hatte – im Gegensatz zu anderen populären Jazzmusikern – ein Album nach dem anderen produziert. Eine Tatsache, die dem ohnehin als workoholic bekannten Peterson zunehmend den Vorwurf einer Überproduktivität und des Hangs zum Klischeehaften einbrachte. Aber gerade dieses immense Arbeitspensum war es, das zu einem Gruppenverständnis führte, wie es in der Folgezeit in verschiedenen Besetzungen nicht mehr der Fall war, als das Trio "im Grunde nur noch Pianomusik, freilich hervorragende, mit Rhythmusgruppe lieferte" (Joachim-Ernst Berendt).
Als ein Virtuose, an dessen Fingerfertigkeit allenfalls nur noch Art Tatum heranreichte, verkörperte er den Künstler-Typus: für die Kritik ein brillanter Ausnahmepianist mit der Tendenz zum Stereotypen, für die Fans ein Klavier-Gott, den zu verehren er es einem leicht machte. Gleichzeitig strahlte Peterson bei aller musikalischen le-roi-c'est-moi-Attitüde niemals Unnahbarkeit aus: ein ernsthafter, seriöser Meister, dem seine Arbeit sichtbar Spaß machte. Serious fun.
In den Jahren zuvor hatte Peterson Köln bereits mit Norman Granzs JATP (Jazz at the Philharmonic) als auch mit Herb Ellis und Brown besucht. Diesmal mit dem kongenialen Gespann von Brown und Thigpen (als zweite Band am Abend trat das Orchester von Kurt Edelhagen auf). Das Konzert fand im Rahmen der vom WDR initiierten und von Dietrich Schulz-Köhn moderierten Reihe Konzert für die Jugend statt. Den Heranwachsenden gerade diesen Pianisten live zu präsentieren, machte doppelt Sinn: Nicht nur ihre Generation zählt Peterson zu den wichtigsten Auslöser einer bleibenden Jazzbegeisterung, für viele die jazzmusikalische "Einstiegdroge" schlechthin. Spielort war der Gürzenich, ein Etablissement, in dem Huldigungen und gute Laune Tradition hatten, in dem einst Kaiser und Könige zum Empfang baten und rauschende Feste feierten und sehr viel später mit Karnevalssitzungen der organisierte Frohsinn einzog. Im Köln der 50er und 60er Jahre wurden hier die Dukes und Counts des Jazz bejubelt. Und auch der ungekrönte Herrscher der 88 Tasten.
Karsten Mützelfeldt