Jazzline N 77027 (CD) / N 78027 (LP)
ALSO AVAILABLE IN VINYL 180g DIRECT METAL MASTERING
feat. Charlie Rouse, John Ore & Frankie Dunlop
LIVE IN BERLIN 1961
MARTIAL SOLAL TRIO
feat. Oscar Pettiford & Kenny Clarke
LIVE IN ESSEN 1959
Beschreibung
Thelonious Monk und Martial Solal. Auf den ersten Blick und Höreindruck mögen sie wenig gemein haben.
Der eine scheint den Fluss des Swingenden durch sperrige Querhölzer zu unterbrechen, ein vermeintlich ungelenker Elefant im Porzellanladen des Jazz, holpernd und stolpernd, ein pianistisches Raubein. Allein schon seine Handhaltung lässt Klavierlehrer die Hände über den Kopf zusammenschlagen: die Finger flach und parallel ausgestreckt, entsteht der Eindruck, als ob zwei Fliegenklatschen die Tastatur traktieren. Und noch bevor sich der Ästhet an diesen Anblick gewöhnt hat, kracht Monks Unterarm mit einem gewaltigen Cluster aufs edle Elfenbein.
Der andere ein Inbegriff des Filigranen. Seine stupende Virtuosität lässt ihn in den Ohren seiner Bewunderer zum eigentlich als unerreichbar geltenden Klavierolymp eines Art Tatum und Oscar Peterson aufschließen. Ein gewisser „gallischer Witz“ wird Solal attestiert, eine spielerische Eleganz, die auch durch urplötzlich eingestreute harmonische Wendungen nicht verloren geht. Eine orchestrale Dichte und ein schier unablässiger Strom sprudelnder Ideen, die den atemlos verfolgenden Hörer gelegentlich erschöpft nach Luft schnappen lassen.
In den USA und in Frankreich werden die renommiertesten Wettbewerbe beider Länder nach ihnen benannt (Thelonious Monk International Jazz Competition, Concours de piano jazz Martial Solal). Hat der Franzose bereits früh in seiner Karriere gebührende Wertschätzung erfahren und ihn zum „Aushängeschild“ des gallischen Jazz werden lassen, ist Monks Bedeutung – vor allem als Komponist – erst nach seinem Tod vollends gewürdigt worden. Dessen Wunsch, vom Publikum verstanden zu werden, erfüllte sich - wenn überhaupt - erst gegen Ende seiner Karriere. Die meiste Zeit fühlte er sich missverstanden. Und auch Solal haderte gelegentlich mit Zeitgenossen: „zu komplex“, so ein häufiger Vorwurf, den er mit „mangelndem Kenntnisstand“ des Jazzpublikums zu kontern pflegte.
Spiegelungen, Verdrehungen, die Verkettung scheinbar nicht zueinander passender Teile, die plötzliche Verdichtung und Ausdünnung tragender Akkorde: Ist Solal ein formbewusster, mit den einzelnen Bausteinen behände umgehender Gestalter, kreiert Monk gelegentlich abenteuerlich anmutende, aber verblüffend stabile Konstrukte, die ihn in den Worten Coltranes zu einem „Architekten höchsten Ranges“ machen (und in denen Charlie Rouse sicherer als jeder andere Saxophonist zu wandeln pflegte). Vor allem aber eines vereint sie: Bei Beiden handelt es sich um kompromisslose Individualisten, denen vieles entgegengebracht wurde, nur eines nicht: Gleichgültigkeit. Vor allem der Amerikaner polarisierte. Im Juni 1961 beschreibt Dieter Zimmerle im Jazz Podium, wie sehr der Pianist das Publikum spaltete – in eine Pro- und Kontra-Fraktion:
„Für Monk oder nicht für Monk, das war die Frage nach dem gewiss eindruckvollsten Konzertteil des Deutschen Jazz-Salon Berlin. Selten stieß eine Jazzgruppe auf solch uneingeschränkte Zustimmung und gleichzeitig auf so schroffe Ablehnung wie das Monk-Quartett… Das Quartett gehört zu jenen Musikgruppen, die sich bei aller grundsätzlicher Konzipierung des musikalischen Stoffes weitgehend über formale Gesetze der Musiktradition hinwegsetzen, um nie das Element der Faszination in der bewussten oder unbewussten Schockierung zu verlieren… Dabei wird der Schock bei den einzelnen Musikern auf ganz verschiedene Art ausgelöst: bei Monk durch eine fast feindliche Behandlung des Klaviers, bei Charlie Rouse durch ungestüme Ausbrüche auf dem Tenor, bei Frankie Dunlop durch rhythmische Eskapaden, zu denen ihn seine überragende Technik befähigt. Und doch erscheint das Quartett – John Ore versucht über den unbeirrbaren Drive vom Bass her zu vermitteln – als wohlorganisierte, in sich geschlossene Einheit, die man nur insgesamt anerkennen oder ablehnen kann.“
Beim Jazz-Salon gastierte auch Monks zehn Jahre jüngerer Kollege aus Frankreich, der für Zimmerle „eine so überragende technische Brillanz bewies, dass darunter nun bereits die Überzeugungskraft des Jazz verloren zu gehen droht“.
War Solal in Berlin mit den European All Stars aufgetreten, hatte er zwei Jahre zuvor das westdeutsche Publikum in eigener Sache schwindelig gespielt - bis in die Fingerspitzen motiviert, nachdem vor ihm die pianistische Messlatte beinahe die Decke der Grugahalle zu berühren schien: Oscar Peterson sorgte als Mitglied von Jazz at the Philharmonic für den von 8200 Zuschauern umjubelten Auftakt der Essener Jazztage 1959. Den zweiten Teil des ersten Abends bestritten das Albert Mangelsdorff Jazztet, Clara Ward & The Ward Singers und das Martial Solal Trio. Oscar Pettiford und der Wahl-Pariser Kenny Clarke bildeten die Rhythmusgruppe, die am folgenden, das Festival beschließenden Tag gleich zweimal zu hören war: mit Bud Powell und Rolf Kühn. Als Gast präsentierte Solal den 1957 in Paris gelandeten Saxophonisten Lucky Thompson, der in zwei Titeln auf dem (damals vor allem in Frankreich beliebten) Sopran zu hören ist.
Die Monk-Biografen Jacques Ponzio und Francois Postif zitieren in ihrem Buch Blue Monk den Produzenten und Kritiker Louis-Victor Mialy, der 1964 - als beide Pianisten nur einen Steinwurf voneinander entfernt in San Francisco auftreten - bemüht ist, ein Treffen der Protagonisten zu organisieren:
„Martial hatte mich um eine heikle Sache gebeten, nämlich Monk ins El Matador zu bringen. Eines Abends, an dem der Club vollgepfropft mit Musikern war, die gekommen waren, um Solal zu hören, sah ich Monk in weißem Anzug und weißem Hut. Ohne zu schauen, wer auf dem Podium spielte, steuerte Monk direkt die Theke an, wo er seinen weißen Hut ablegte, und gemeinsam bestellten wir doppelten Cognac. Solal zog zur selben Zeit ein wahres Feuerwerk ab, baute ein wenig Chopin und viel Tatum in seine Interpretation ein, die sehr intensiv geriet. Monk, noch immer den Rücken dem Podium zugewandt, hörte aufmerksam zu und starrte ein Loch in die Theke. Schließlich drehte er sich um und fragte mich: 'Who is this motherfucker?' Nachdem er seinen doppelten Cognac ausgetrunken hatte, verließ Monk erhobenen Hauptes wie ein englischer Armeeoffizier den Club, ohne ein Wort.“
Karsten Mützelfeldt
Thelonious Monk and Martial Solal. At a first glance these two men have very little in common.
One of them seems to interrupt the swinging flow with bulky crossbars, allegedly an awkward bull in the china shop of jazz, bouncy and stumbling, a pianistic roughneck. Already his hand position prompts piano teachers to throw their hands up in horror: with the fingers stretched out flat and parallel, it seems as if two fly flaps were maltreating the keyboard. Before an aesthete even gets a chance to come to terms with this sight Monk’s lower arm crashes down on the ivory with a tremendous cluster.
The other man is an embodiment of the filigree. In the ears of his admirers his amazing virtuosity lets him catch up with the Piano-Olympus of a Tatum or Oscar Peterson, which is actually considered unreachable. A certain “Gallic humour” is attributed to Solal, a playful elegance, which is not lost in very suddenly interspersed harmonic turns. An orchestral density and an almost continual flow of bubbling ideas force the breathlessly following listener to occasionally gasp for air.
In the USA and France the most renowned competitions of both countries are named in their honour (Thelonious Monk International Jazz Competition, Concours de piano jazz Martial Solal). While the Frenchmen was acclaimed already very early in his career and was turned into a sort of “embodiment” of Gallic jazz, Monk’s relevance – particularly as a composer – was only completely appreciated after his death. His wish to be understood by the audience only came true towards the end of his career – if at all. Most of the time he felt misinterpreted. And even Solal at times quarrelled with his contemporaries: “too complex” was an often uttered reproach, which he usually retorted by referring to the “lack of knowledge” of the jazz audience.
Reflections, twists, the concatenation of seemingly not matching parts, the sudden compression and thinning of fundamental chords: While Solal is a form-conscious designer, nimbly treating the individual elements, Monk creates sometimes seemingly bizarre but surprisingly stable constructs, which make him an “architect of highest repute” in the words of Coltrane (constructs, which Charlie Rouse managed to deal with way better than any other saxophonist). Above all one thing joins them together: Both were uncompromising individualists and one could accuse them of many things but certainly not of being indifferent. Especially the American polarised. In June 1961 Dieter Zimmerle described in the Jazz Podium magazine to what extent the pianist divided his audience – in supporters and opponents:
“To be on Monk’s side or to be not on his side was the question after what was certainly the most impressing concert at the Deutscher Jazz-Salon Berlin. Rarely a jazz group was met with such unfettered approval and simultaneously with such brusque rejection as the Monk-Quartet…The quartet is one of these groups, which despite the fundamental conception of the music, broadly ignore the formal laws of musical tradition to never loose the element of fascination caused by a deliberate or unconscious shock…In doing so, the shock is triggered by the individual musicians in different ways: in the case of Monk by his almost hostile treatment of the piano, Charlie Rouse releases it by impetuous outbursts in tenor and Frankie Dunlop by rhythmic escapades, which he is able to perform thanks to his outstanding playing technique. But despite all that the quartet – John Ore tries to mediate with his unswerving basso – comes across as a well organised and self-contained unit, which one may only like or dislike in total.“
Another guest at the Jazz-Salon was Monk’s ten year younger French colleague, who in Zimmerle’s words “showed such an outstanding technical brilliance which already threatened the persuasive power of jazz”.
While Solal performed together with the European All Stars at Berlin he had already played the West-German audience into a state of dizziness all alone two years earlier – highly motivated as the pianists performing before him at the Grugahalle had set the standards extremely high: Oscar Peterson as a member of the Jazz at the Philharmonic guaranteed a celebrated opening of the Essener Jazztage 1959 in front of an audience of 8200 people. The second part of the first evening was performed by the Albert Mangelsdorff Jazztet, Clara Ward & The Ward Singers and the Martial Solal Trio. Oscar Pettiford and the Parisian-by-choice Kenny Clarke formed the rhythm section which performed even twice on the following and concluding day of the festival: together with Bud Powell and Rolf Kühn. As a guest, Solal presented the saxophonist Lucky Thompson who had come to Paris in 1957 and who can be heard in two numbers on the soprano saxophone (which was particularly popular in France in these days).
In their book Blue Monk the Monk-biographers Jacques Ponzio and Francois Postif quote the producer and critic Louis-Victor Mialy, who in 1964 – when both pianists appeared within spitting distance of each other in San Francisco – tried to arrange a meeting of the two protagonists:
“Martial had asked me the delicate favour to get Monk to the El Matador. One evening, the club was packed with musicians who had come to hear Solal, I spotted Monk in a white suit and a white hat. Without even glancing at the stage to see who was performing, Monk directly headed for the bar, took off his hat and both of us ordered a double cognac. At the same time Solal was performing a firework on stage, added a little bit a Chopin and a lot of Tatum to his interpretation, which turned out to be particularly intense. Monk was still standing with his back to the stage, listened attentively and was starring a hole in the bar. Finally he turned round and asked me:’Who is this motherfucker?’ After finishing his double cognac Monk left the club like an English army officer with his head held high and without a word.”
Karsten Mützelfeldt